May I introduce my personal devil to you?

Seit Jahren wandert er durch mein Zimmer. Manchmal sitzt er prominent platziert auf meinem Fensterbrett. Dann hat er mich im Blick – und ich ihn. Manchmal steht er im Bücherregal. Von dort beobachtet er mich während des Meditierens, ich spüre seinen stechenden Blick im Nacken. Manchmal überfordert er mich, dann verbanne ich ihn in seinen Styroporsarg. Aber so weit, dass ich ihn in irgendeiner Schublade verschwinden lassen würde, gehe ich nie.

Ich habe lange nach ihm gesucht. Die Anderen waren zu plakativ, zu grob, zu christlich… Es ist wahnsinnig schwierig, ein Symbol für den eigenen Teufel zu finden, habe ich festgestellt. Den Meinen entdeckte ich schließlich bei einem Gothic-Versand. Irgend eine dystopische Figur aus einem Roman. Ich hatte ihren Namen vergessen, sobald ich die kleine Gestalt mit den Fledermausflügeln und dem Krakenarmen-Bart aus dem Versandkarton gezogen hatte. Er ist einfach „mein Teufel“.

Es war ein langsamer schmerzhafter Prozess der Annäherung. Als ich in meine Tiefe hinabstieg wie Orpheus auf der Suche nach Eurydike – damals, als meine Welt zusammenbrach – dem Fährmann Charon die Münze in die Hand drückte, damit er mich hinübersetze über den Acheron, war ich mir sicher, dass ich im Hades meines Inneren auf einen grauenhaften Teufel stoßen würde. Mein ganzes Leben lang war ich davon überzeugt gewesen, im Grunde böse zu sein. Schlecht. Verdorben. Ich wanderte tage- und nächtelang in fiebrigen Phantasien und quälenden Albträumen durch die stille Schwärze meiner inneren Abgründe und fand – nichts. Einfach nur nichts. Ich bin nicht böse. Die Erkenntnis war so verblüffend wie erleichternd.

Als ich wieder zur Oberfläche zurückgekehrt war und daran ging, die Trümmer meines Selbstbildes zu sortieren, mir, meiner Vergangenheit, meiner Familiengeschichte einen neuen Sinn zu geben, blieb mein Teufel eine Leerstelle. Ich war nicht böse. Was war ich dann?

Die Sache ist kompliziert, stellte ich fest. „Böse“ ist einfach. Ich war ständig mit der Widergutmachung für meine phantasierte Schlechtigkeit beschäftigt gewesen. Es hatte mich völlig erschöpft, geschwächt, klein gehalten. Aber es war ein klares Konzept gewesen, etwas, das mein Denken und Handeln in der Tiefe strukturierte.

Nachdem ich mich Willigis Radikalkur unterworfen hatte, „zu lassen“, war dieses Denken in sich zusammengebrochen. Auf einmal war ich damit konfrontiert, dass jeder Moment zählte: jeder Gedanke, jede Emotion, jede Handlung. Und dass „Gut“ und „Schlecht“ keine tauglichen Prinzipien waren, um meine neue Welt zu ordnen.

Zen hat keine Moral und keine Ethik. Jeder Augenblick, jede Begegnung mit sich und anderen ist frisch, noch nie dagewesen. Jeder Atemzug ist neu. „Gut“ und „Schlecht“ sind einfach nur Konzepte, die vom Leben abschneiden. Es fiel mir schwer, diese Wahrheit zu akzeptieren. Ich wehrte mich energisch. Als ich endlich aufgab – wieder ein Zusammenbruch – begegnete ich zum ersten Mal meinem Schatten.

Er ist ein „shape shifter“, lernte ich, er funktioniert nach dem selben Prinzip wie die „Boggarts“ in Harry Potter. Er nimmt jene Form an – schillernd, überraschend, unerwartet – die der Moment für ihn hergibt, nimmt in jedem Augenblick den Platz ein, der ihm angeboten wird. Er ist reine Energie. Er ist immer da. Es gibt keinen Atemzug ohne ihn.

Es erfordert eine spezielle Technik des „Sehens“, lernte ich, ihn wahrzunehmen. Einen Blick der Gelassenheit, der vollkommenen Offenheit. Und den Mut anzuerkennen, dass er mein ist. Er war es von meinem ersten Atemzug an, er wird es bis zu meinem letzten bleiben. Es gibt kein Entkommen, keine Erlösung, keine Befreiung. Es gibt keinen Sieg über den eigenen Schatten. Schon die Vorstellung, dies sei möglich, ist nur wieder mein Teufel in neuer Gestalt.

Das denke ich mir, während vor dem Fenster des ICE der Thüringer Wald vorbei zieht. Zwischen den kahlen Bäumen taut der Schnee.