Ich beuge mich meiner intuitiven Inneren Stimme und mache mich auf den Weg in ein Tibetisch-Buddhistisches Zentrum, um Riwo Sangchö zu lernen, während in mir ein Gewittersturm tobt…

Irgendwo in der Innenstadt Berlins befindet sich ein Buddhistisches Zentrum. Versteckt im Innenhof liegt es in einer Ecke der Stadt, die grau, trist und fade ist.
So kommt es mir zumindest vor, als ich aus dem U-Bahn-Schacht trete. Nach ein paar Metern biege ich in eine ruhige Seitenstraße ein. Suriyel hat mir den Weg beschrieben.
Während ich durch das morgendlich stille Viertel laufe, denke ich über die Absonderlichkeit der aktuellen Situation nach. Es war ausgerechnet Suriyel gewesen, der mir zum Besuch des Nationalparks von Bialowieza geraten hatte. Und das sicher nicht mit dem Ziel, mich deshalb eines Sonntags in seinem Schreinraum vorzufinden. https://www.water-runs-east.eu/?p=3124&preview=true
Ich hatte ihn um einen Tipp für einen Wanderurlaub in Polen gebeten, und er – der aus Warschau stammt – empfahl mir den letzten Urwald Europas.
Und dann komme ich nicht aus einem Wanderurlaub, sondern von einer extremen Grenzerfahrung zurück – und das auch nur halb – und bin damit konfrontiert, dass ich dringend Riwo Sangchö lernen muss. https://www.water-runs-east.eu/zehn-riwo-sangchoe/
Und der einzige für mich erreichbare Ort, an dem ich Riwo Sangchö lernen kann, ist ausgerechnet Suriyels Buddhistisches Zentrum in Berlin. Jeden Sonntag bietet er hier „Grüne Tara-Praxis“ an – und danach Riwo Sangchö.
Das ich brauche, nicht nur zu meinem Wohl, sondern auch zum Wohl anderer. Wer immer diese „Anderen“ auch sein mögen… https://www.water-runs-east.eu/gedenken/
Das ist einer der Punkte in dieser ganzen schrägen Geschichte, über den ich nicht genauer nachdenken möchte. Das ist mir zu spekulativ, zu esoterisch und zu heikel.
Überhaupt finde ich gerade alles schwierig und anstrengend. In mir tobt – seit ich vor ein paar Tagen beschlossen habe, ins Buddhistische Zentrum zu fahren – ein Gewittersturm.
„Widerstand“ nennt sich das, was da in mir abgeht, im Achtsamkeitsmeditations-Fachjargon. Jeder Praktizierende kennt die höchst schmerzhafte und verstörende Erfahrung, in der Stille der Meditation auf einmal mit einem Amok laufenden Ego konfrontiert zu sein.
An welchem Punkt das Ego austickt, ist eine höchst individuelle Angelegenheit. Es hängt davon ab, was biographisch und strukturell als „Kontrollverlust“ erlebt wird.
Bei mir ist es die bunte esoterische Praxis des tibetischen Tantra.
Dass ich gerade dabei bin, das erste Mal in meinem Leben ein tibetisch-buddhistisches Zentrum zu betreten, lässt mein Ego buchstäblich die Wände hochgehen.
Während ich eine Baustelle umrunde, die den Gehweg blockiert, lausche ich der wütenden Dauerklage meines egozentrischen Geistes.
Ich versuche, ihm mit Argumenten zu kommen. „Pfadabhängigkeit“ nennt sich das, womit er gerade konfrontiert ist. Prozesse folgen ihrer eigenen inhärenten Logik. Ob es ihm passt, oder nicht.
Es passt ihm nicht!
Mein Ego will das alles nicht! Wortreich erklärt es mir, dass es kein Orange mag, und auch kein Gold, Ornamente völlig überflüssig sind und kein vernünftiger Mensch Riten brauche! Und überhaupt: Berlin! Und dann auch noch Berlin-Friedrichshain! Wenn es wenigstens Unter-den-Linden wäre! Aber nein! Ausgerechnet hier! Und dann auch noch tibetisch-buddhistische Praxis!
„Warum“, fragt es mich völlig entnervt, „musst Du Dich immer zum Idioten machen? Du bist gesegnet mit Bildung, Kultur und guten Umgangsformen, beherrscht Konversation und Lebensart – und dann willst Du ausgerechnet da hin? Bist Du komplett bescheuert?“
Mein Ego – das weiß ich schon lange – liebt Zen. Zen ist ästhetisch, elitär und über jeden esoterischen Chichi erhaben. In meinem gepflegten Zen-Retreathaus ist mein Ego ganz bei sich, glücklich und zufrieden. So wie dort, findet es, sollte all meine Meditations-Praxis sein. Zen entspricht meiner Herkunft, meinem Bildungsstand und meinem Lebensstil.
Nur, leider leider, besteht meine intuitive Innere Stimme seit Jahren darauf, dass Zen zu wenig ist. Meine intuitive Innere Stimme liebt Tantra. Uneingeschränkt. Die Praxis, all das Mantra-Gesinge, die Riten – sogar das Orange und die goldenen Ornamente.
Und in meinem Leben bestimmt meine intuitive Innere Stimme, was geschieht, und nicht mein arrogantes Ego. Was dem überhaupt nicht passt. Und dann macht es Drama. So wie jetzt!
Den wüsten Beschimpfungen meines Egos lauschend, sehe ich auf einmal jenseits einer hohen Mauer bunte tibetische Gebetsfahnen flattern. Ich bin da.
Exakt zwei Stunden dauert es, um von meiner Haustür in Leipzig bis zum Metalltor des Buddhistischen Zentrums zu kommen, stelle ich mit einem Blick auf die Uhr fest.
Und das alles, weil ich gezwungen bin, Riwo Sangchö zu lernen. Und das nicht nur ein bisschen, sondern richtig.
„Halt jetzt endlich die Klappe!“, herrsche ich mein maulendes Ego an. „Wir ziehen das jetzt durch, ob es Dir passt oder nicht!“
Damit atme ich tief durch und betrete den Innenhof.
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