Drei Wochen, nachdem ich mich im Traum im evangelischen Pfarrhaus wiederfand, bin ich das erste Mal dort zu Besuch…

Der Makler ist schon vor Ort. Sein Wagen mit Werbeaufschrift parkt neben einem VW-Passat. Als wir in die Auffahrt einbiegen, eilt eine Frau durch das Tor. Wohl eine andere Kaufinteressentin. Sie springt in den Passat und braust davon. Es wirkt, als wäre sie auf der Flucht.
Während ich die Beifahrertür öffne, tritt ein Mann mittleren Alters aus der Haustür des Pfarrhauses. Ich tippe auf den Makler. Kurz schweift sein Blick über mich. Dann sieht er meinen Bruder, der – wie immer in Zimmermannskluft – behutsam die Fahrertür seines Oberklasse-Audi zuschiebt.
Die Gesichtszüge des Maklers beginnen bei seinem Anblick zu leuchten. Enthusiastisch die Hand meines Bruders schüttelnd, ruft er aus: „Sie sind genau der Mann, den dieses Objekt braucht!“
„Ich bin diejenige, die sich für das Haus interessiert!“, mache ich ihn auf mich aufmerksam. „Bei dem Herrn“, ich deute auf meinen Bruder, „handelt es sich um den Sachverständigen.“
Diese Information dämpft die Begeisterung des Maklers etwas. Dabei habe ich ihn nur beim Wort genommen. Der letzte Satz des Exposés des Pfarrhauses lautet: „Bitte bringen Sie zum Besichtigungstermin einen Bausachverständigen mit.“
Glücklicherweise bin ich mit einem Bausachverständigen verwandt: Mein Bruder ist nicht nur Zimmerer und Bauingenieur, sondern auch noch Chef seiner eigenen Baufirma. https://www.water-runs-east.eu/rauch-eiche/
Als ich ihm von meinem Traum vom evangelischen Pfarrhaus erzähle und ihm das Makler-Exposé zukommen lasse, ist er nicht im geringsten erstaunt über die Geschichte. https://www.water-runs-east.eu/weiher/
Mein Bruder und ich funktionieren nach den selben Prinzipien. Wir sind beide intuitiv.
Was mindestens ein genauso großes Glück ist wie der Fakt, dass er etwas von Altbausanierung versteht.
„Gott, ist das schön!“, murmelte er vor sich hin, während er sich die Fotos des Pfarrhauses das erste Mal ansah.
Als wir jetzt leibhaftig vor dem Gebäude stehen, ist sein Gesichtsausdruck neutral. Auf der Fahrt zum Besichtigungstermin hat er mir eingeschäft, dass ich mir meine Begeisterung auf keinen Fall ansehen lassen darf! Das könne mich viel Geld kosten!
Es fällt mir nicht schwer, seinen Rat zu befolgen. Im Gegenteil: Während uns der Makler über das Gelände führt, wird mir bang und bänger!
Im Schafstall ist bereits ein Teil des Dachs eingebrochen. Die Tür hängt schief in den Angeln. Mein Bruder stemmt sie mit aller Kraft auf. Nach einem Blick zur Decke verbietet er mir den Zutritt: Akute Einsturzgefahr.
Seine Führsorge rührt mich. Alles andere überfordert mich.
Als nächstes ist der Hauptstall an der Reihe. Umständlich öffnet der Makler das Vorhangschloss an einer der Stalltüren. Als er sie aufzieht, fällt mein Blick auf rottendes Stroh. An der Wand hängen rostende Metallkörbe. Mein Bruder klettert die schmale Treppe hoch. Die rohen Dielenbretter sind stellenweise verfault. „Pass auf, dass du auf dem Hauptbalken bleibst!“, ruft er mir zu, während er vorsichtig Schritt für Schritt den Dachboden durchquert. Er bleibt stehen, den Kopf in den Nacken gelegt. „Na, das sieht aber nicht schön aus!“
Das, finde ich, ist eine absolute Untertreibung: Zwischen Dachfirst und Außenmauer klafft ein Loch von mindestens einem halben Meter! Und die Außenmauer sieht aus, als würde sie jeden Moment zusammenfallen!
Wir nehmen den nächsten Stallzugang in Augenschein. Im vorderen Bereich des Erdgeschosses wieder rottendes Stroh, im hinteren Teil eine weitere Pferdebox. Auch hier Stroh. Die schwache Ahnung von Pferdegeruch. Ein großer schwarzer leerer Plastikeimer. In der Ecke ein Rest Heu im Futtertrog. Allzu viele Jahre kann es nicht her sein, dass hier ein Tier gehalten wurde.
Wir nehmen die zweiteTreppe in den Dachboden. Im vorderen Teil lagert das rottende Heu hüfthoch. Mein Bruder wiegt skeptisch den Kopf.
Neben dem historischen Stall ein runder hölzerner Hühnerstall jüngeren Datums. Auch der ist eingestreut, im Inneren riecht es nach Huhn. Hier hat ganz sicher bis vor kurzem Federfieh gewohnt.
Der erste Lichtblick des Tages: Die Werkstatt. Mein Bruder pfeift anerkennend durch die Zähne, als uns der Makler das Tor aufschließt. Das Gebäude ist neu, aus Holz, mindestens sechs Meter hoch, mit großen Fenstern, einer riesigen Werkbank und Regalen, in denen ordentlich Werkzeug neben Werkzeug liegt.
Auf dem Weg zum Haupthaus kreuzen wir ein rotes Gartenhaus. Es befindet sich direkt am Ufer des Weihers, von dem ich geträumt hatte. „Zum alten Fritz“, steht über der Eingangstür. Durch die verglaste Front fällt unser Blick auf einen großen Tisch mit Wachstuchtischdecke. Drumherum Stühle. Auf einer kleinen Anrichte in der Ecke stappeln sich Schnapsgläser.
Das Häuschen wirkt inmitten des zweihundert Jahre alten Ensembles, als hätte es sich verlaufen.
Wir betreten das Haupthaus. In meinem Traum waren alle Räume leer. Jetzt bin ich mit der Realität konfrontiert: Während ich – wie in meinem Traum – von Zimmer zu Zimmer gehe, fällt mein Blick auf vergilbte Bravo-Poster aus den 90ern, DDR-Möbeln aus den 70ern. Auf wuchtigen Gründerzeit-Vitrinen stauben gerahmte Familienfotos vor sich hin. Die Küche wirkt, als wäre der Besitzer nur mal kurz zum Einkaufen gefahren.
Während ich mich – um Haltung bemüht – vom Makler verabschieden, ertönt hinter mir ein scharfes Surren. Mein Bruder lässt eine Drohne aufsteigen und über die Dächer der Gebäude fliegen, auf der Jagd nach weiteren Schäden, die nur durch Luftaufnahmen erkennbar sind.
Als ich – die Tür des Oberklasse-Audis achtsam zuziehend – auf den Beifahrersitz sinke, bin ich komplett bedient.
Das hier – denke ich – kann nur ein Alptraum sein!
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