Pema Choling im Historischen Pfarrhof von Dewitz

Autor: Katharina (Seite 1 von 15)

Zen-Meditation-Junkie goes Tantra

Schreihals

Von Ende Juni bis Anfang August lebe ich alleine im Pema Choling – umgeben von Jungvögeln, die hier ihre ersten Flugversuche starten…

Sieben Wochen lang bin ich ganz alleine im Pema Choling im Historischen Pfarrhof von Dewitz. https://www.water-runs-east.eu/stille-2/

Das ist jetzt – nach der Einweihung durch Norbu Tsering Rinpoche – ein Buddhistisches Zentrum. https://www.water-runs-east.eu/einweihung/

Abgesehen von den bunten Gebetsfahnen, die über dem Eingang und zwischen den Kirschbäumen am Weiher flattern, ist davon nichts zu bemerken.

Denn es muss noch viel getan werden, bevor Leben in das Pema Choling einkehren kann.

Sämtliche Gebäude müssen saniert und umgebaut werden.

Ein Mamutprojekt!

Aber erst einmal passiert: nichts.

Denn es ist Urlaubszeit.

Der Architekt ist verreist, der Sachbearbeiter der Unteren Denkmalschutzbehörde ebenso, die E-Mail an das Liegenschaftsamt wird mit einer Abwesenheitsnotiz beantwortet…

Für mich gibt es trotzdem genug zu tun:

Jeden Morgen praktiziere ich im Pavillon am Weiher Zazen. https://www.water-runs-east.eu/zazen/

Danach ein Riwo SangChö. https://www.water-runs-east.eu/rauch/

Keine Ahnung, was sich die Nachbarn dabei denken, wenn mein Getrommel und Gebimmel über den Weiher schallt, während der Rauch des brennenden Opfers aufsteigt. https://www.water-runs-east.eu/sang-powder/

Neben meinen spirituellen Pflichten muss ich:

Das Spätzle füttern und bürsten. https://www.water-runs-east.eu/kidnapping/

Rasen mähen (auf 4500 Quadratmetern!).

Die unendlich lange Hecke und drei wild wuchernde Weinstöcke schneiden.

Die Homepage aktivieren. (pema-choling.de)

Mit den Staren um meine Kirschen kämpfen (vier Süßkirschenbäume und sieben Sauerkirschenbäume) und Marmelade kochen.

Im Internet nach Fördermöglichkeiten für die Sanierung forschen.

Und so weiter und so fort…

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Während ich meinen Pflichten nachgehe, kommt es mir vor, als würde ich mit jedem Tag mehr zu einem Teil des Pema Choling werden.

Als würde ich mit dem Ort verschmelzen.

Ein seltsames Gefühl.

Und durchaus beängstigend.

Zum Trost schenkt mir das Pema Choling wunderbare Begegnungen mit den Tieren, die hier leben.

Den Anfang machen die Turmfalken.

Die erste stürmische Begegnung mit den Turmfalken hatte ich kurz nach meinem Einzug in das Pema Choling. https://www.water-runs-east.eu/turmfalke/

Es handelt sich um ein Turmfalkenpaar, erfahre ich kurz darauf von Nachbarn. Sie brüten am anderen Ende des Dorfes hinter der Kirche.

Das Pema Choling ist Teil ihres Jagdgebiets. Regelmäßig fliegen die Falken über die Dächer der Gebäude, immer begleitet von wütenden Rufen und Attacken der Schwalben, die im Stall nisten.

Aber das ist noch garnichts gegen die Aufregung, die im Pema Choling einsetzt, als die Jungfalken flügge werden!

Drei sind es.

Die erste Woche ihres neuen Erwachsenenlebens verbringen sie auf der großen Wiese des Pema Choling.

Dort üben sie sich im Fliegen und Jagen.

Vom Badezimmerfenster aus beobachte ich einen jungen Turmfalken, der seine Beute auf dem Gastank verzehrt.

Ich bin begeistert von den unerwarteten Gästen.

Im Gegensatz zu den anderen Vögeln.

Turmfalken, lerne ich, haben es nicht leicht. Sie sind zwar Raubvögel, aber klein. Nicht viel größer als eine Taube.

Deshalb sind sie bei den anderen Vögeln unbeliebt – aber nicht gefürchtet.

Die Krähen, die in den hohen Pappeln hinter dem Zaun des Pema Choling leben, stürzen sich auf die drei Jungfalken, sobald die ihren Bäumen zu nahe kommen.

Nicht einmal die zarten Schwalben lassen sich ihre Nähe bieten. Sobald sich die Jungfalken dem Stall nähern, gehen Schwalben-Geschwader zum Angriff über.

Bei dem mächtigen Milan, der regelmäßig über dem Pema Choling nach Beute Ausschau hält, würden das weder Schwalben noch Krähen wagen.

Wenn der über den Dächern des Pema Choling segelt, herrscht auf einmal vollkommene Stille.

Die Schwalben flüchten in den Stall.

Die Krähen in die dicht belaubten Äste der Pappeln.

Bei den jungen Turmfalken dagegen: keine Gnade!

Besonders eines der drei Geschwister wirkt von der Situation überfordert. Von Morgens bis Abends stößt es fast ununterbrochen schrille Schreie aus.

Egal ob es auf der Wiese sitzt, in einem der Obstbäume oder auf dem Hausdach.

Es schreit und schreit.

Der größte der Jungfalken ist nach drei Tagen verschwunden.

Falken sind Einzelgänger.

Vielleicht ist ihm auch das andauernde Geschrei des Geschwisters zu sehr auf die Nerven gegangen.

Das andere Falkenkind steht dem Schreihals weiter tapfer zur Seite.

Eine Woche lang sehe ich den beiden beim Erwachsenwerden zu.

Dann wird ihr Radius weiter. Anfangs sehe ich sie noch auf den Dächern der Nachbarhäuser – und höre den Schreihals rufen – aber bald darauf sind sie verschwunden.

Ich vermisse sie. Und hoffe, dass sie überleben werden.

An einem sonnigen Tag anfang September radle ich zum Plather See. Der ist acht Kilometer vom Pema Choling entfernt.

Kurz bevor ich den See erreiche, sehe ich einen Bussard, der über dem abgeernteten Feld zu meiner Linken kreist.

Auf einmal stürzt sich ein Turmfalke – hysterisch schreiend – auf den Bussard.

Vor meinen Augen entbrennt ein Luftkampf. Der Bussard ist größer und kräftiger, der Turmfalke schneller und wendiger.

Immer wieder stößt der kleine auf den viel größeren Raubvogel herab.

Und schreit und schreit dabei.

Der Bussard ergreift die Flucht.

Triumphierend schreiend fliegt der Turmfalke über dem Röricht davon.

Er klingt exakt wie der Schreihals, der vor ein paar Wochen auf der Wiese des Pema Choling lebte.

Er scheint – so denke ich mir – seinen Weg gefunden zu haben.

Turmfalke

Ich putze den Pavillon des Historischen Pfarrhofs von Dewitz – und bekomme unerwartet Besuch…

Anfang Juni ziehe ich in den Historischen Pfarrhof von Dewitz. https://www.water-runs-east.eu/einzug/

Allein. https://www.water-runs-east.eu/allein/

Zumindest unter der Woche. Denn an den Wochenenden kommt zuverlässig Suriyel aus Berlin zu mir.

Bald lerne ich, dass nicht nur ich und ein alter Kater im Pfarrhof zuhause sind, sondern auch noch viele wilde Tiere.

Ich lebe in einem Biotop!

Das ich von quakenden Fröschen, zwitschernden Staren und einer Kolonne Schwalben umgeben bin, wird mir bereits in den ersten Tagen bewusst.

Wie wild und ungezähmt das Leben im Historischen Pfarrhof wirklich ist, verstehe ich aber erst in der zweiten Woche nach meinem Einzug.

Durch eine dramatische Begegnung mit einem Turmfalken.

Sie ereignet sich an dem Tag, an dem die Spedition meine eingelagerten Besitztümer in mein neues Zuhause bringt.

Während die Umzugsleute Kisten und Möbel in meine Wohnung schleppen, putzte ich den Pavillon am Weiher.

Im Oktober 2024 war ich das erste Mal im Historischen Pfarrhof.

Zur Besichtigung mit dem Makler. https://www.water-runs-east.eu/besichtigung/

Damals stand in dem Pavillon ein langer Tisch. Darum herum viele Stühle. In der Ecke eine kleine Kommode, auf der sich Schnapsgläser stappelten.

Über der Eingangstür ein Schild mit der Aufschrift „Zum alten Fritz“.

Offensichtlich hatte der Vorbesitzer – ein Mann namens Frank – den Pavillon als eine Art private Kneipe genutzt. https://www.water-runs-east.eu/abschied/

Vor meinem Einzug wurde der Pavillon geräumt. https://www.water-runs-east.eu/entruempler/

Weil der Pavillon idyllisch direkt am Weiher liegt, möchten wir die Einweihungsfeier dort abhalten.

Denn am 22. Juni 2025 wird aus dem Historischen Pfarrhof von Dewitz das Buddhistische Retreathaus Pema Choling werden. https://www.water-runs-east.eu/einweihung/

Dafür muss der Pavillon dringend geputzt werden. Die Scheiben der Glastüren starren vor Schmutz. Spinnweben hängen von der Decke. Auf dem Fußboden liegt zentimeterdick Staub.

Zuerst schraube ich den „Alten Fritz“ ab.

Danach reiße ich die mittleren Glastüren zum Weiher und zum Stall auf. Damit ich nicht ersticke, während ich Staub und Spinnweben von der Decke fege.

Den Kopf im Nacken, den Besen in der Hand, arbeite ich mich Quadratmeter für Quadratmeter durch den Pavillon.

Draußen auf einmal hysterisches Geschrei. Bevor ich verstehe, was vor sich geht, schießt etwas an mir vorbei.

In der Ecke des Pavillon flattert ein brauner Vogel. Vergebens versucht er, aus dem Häuschen zu fliehen. Immer wieder knallt er gegen die Glasscheiben.

Ein Turmfalke!

Und was ist das?

Unter dem Rahmen der geöffneten Glastür an der Stallseite kauert eine kleine Schwalbe!

Mit einem Sprung sichere ich die Tür, damit die arme Schwalbe nicht zerquetscht wird, sollte der Wind die Tür zuschlagen.

Dann öffne ich die Glastür in der Ecke, in der der hysterische Falke flattert. Ich muss ihn zwischen die Hände nehmen und durch die Öffnung ins Freie schieben.

Mit einem lauten Schrei schießt er über das Stalldach davon.

Die Schwalbe kauert immer noch unter dem Rahmen. Ein Streifen Blut leuchtet rot neben ihrem kleinen Körper.

Lebt sie noch?

Vorsichtig nehme ich sie in die Hände. Wie winzig klein sie ist!

Auf einmal breitet sie die Flügel aus, stößt sich ab, schießt durch die Tür und ist in Sekunden zwischen Stallmauer und Werkstatt verschwunden.

Ungläubig starre ich auf den schmalen roten Streifen Blut am Türrahmen.

Beweis dafür, dass gerade wirklich ein Turmfalke und eine Schwalbe in meinem Pavillon waren.

Während ich der profansten aller Tätigkeiten nachgehe: Putzen.

Stille

Rinpoche und die Gäste der Einweihungsfeier haben sich verabschiedet. Im Pema Choling kehrt Frieden ein…

Die Einweihung des Pema Choling ist zu Ende gegangen. https://www.water-runs-east.eu/wasserschlange/

Am 23. Juni bricht Rinpoche auf nach Warschau. Dort wird er ein Retreat anleiten.

Am Nachmittag des 24. Juni verlassen die letzten Gäste der Einweihungsfeier das Pema Choling.

Ich bleibe zurück.

Alleine.

Sieben Wochen lang.

Nicht einmal Suriyel kommt zu Besuch.

Nur ich – und ein alter Kater. https://www.water-runs-east.eu/kater/

Umgeben von vielen wilden Tieren.

Dem Reh, das nachts auf der Wiese hinter dem Haus äst.

Dem Fuchs, der am Nachmittag ein Nickerchen unter dem Busch am Zaun hält.

Dem riesigen Schwarm Stare, der sich in meinen Kirschbäumen über die reifen Früchte hermacht.

Dem Milan, der über dem Dach des Pfarrhauses schwebt, als hinge er an einer Drachenschnur.

Den Schwalben, die über der Wasseroberfläche des Weihers nach Mücken jagen.

Den Turmfalken, die sich mit den Schwalben Luftkämpfe liefern.

Den Fledermäusen, die über dem Weiher jagen, wenn die Schwalben bei Einbruch der Nacht zu Bett gegangen sind.

Den Fröschen, die mich in den Schlaf quaken.

Der Eule, deren schriller Ruf mich in den ersten Nächten aus dem Schlaf reißt.

Jeden Morgen praktiziere ich im Pavillon am Weiher.

Erst Zazen. https://www.water-runs-east.eu/zazen/

Danach Riwo SangChö. https://www.water-runs-east.eu/rauch/

Danach tue ich, was zu tun ist.

Nicht mehr, nicht weniger.

Mir ist, als würde ich mit jedem Tag, den ich alleine verbringe, mehr zu einem Teil des Pema Choling werden.

Verschmelzen mit der friedlichen Stille.

Eins werden mit der Zeitlosigkeit des Ortes.

Trotz all meiner Neurosen, die durch die Natürlichkeit des Pema Cholings schmerzhaft transparent werden.

„Interessant!“, denke ich ein um das andere Mal, wenn ich mit abstrusen Mustern, Gedanken und Ängsten in meinem Inneren konfrontiert werde.

Sieben Wochen verbringe ich allein im Pema Choling.

Jeder Tag gleich.

Jeder Tag eine Überraschung…

Abschied

Am Tag nach der Einweihung des Pema Choling praktizieren wir das Ritual „Sur“ für den verstorbenen Vorbesitzer des historischen Pfarrhofs…

Anfang Juni ziehe ich in den historischen Pfarrhof von Dewitz. https://www.water-runs-east.eu/einzug/

Überwältigt, überfordert – aber auch erleichtert und dankbar für die schöne sanierte Wohnung im Erdgeschoss des Haupthauses.

Meine zukünftig Wohnung hat drei Zimmer, ein großzügiges Bad – und eine hübschen kleinen Küche im Landhausstil.

Den Küchentisch hat der Entrümpler mitgenommen. https://www.water-runs-east.eu/entruempler/

Aber das Geschirr aus blauem Glas, Töpfe und Besteck hat er zurückgelassen. Und auch noch sonst so einiges andere, was er nicht gebrauchen konnte. Angebrochene Ketchup- und Grillsoßenflaschen im Kühlschrank zum Beispiel.

Während Suriyel versucht, das Heizungssystem ans Laufen zu bringen, gehe ich Schublade für Schublade durch. https://www.water-runs-east.eu/heizung/

Im Hängeschrank über dem Herd stapeln sich Gewürzdöschen. Ich finde eine Gewürzmischung für saure Gurken und eine andere extra für Pommes.

Was es nicht alles gibt!

Im Ausziehschrank neben dem Kühlschrank Schlaf- und Beruhigungstees. Mehrere Packungen. Im Hängeschrank daneben pflanzliche Beruhigungstropfen.

Es ist ein seltsames Gefühl, plötzlich mit dem vergangenen Leben eines unbekannten Menschen konfrontiert zu sein.

Von dem wir nur wissen, dass er „Frank“ hieß. Und den Nachnamen. Denn so steht es immer noch am Briefkasten und am Klingelschild.

Der Makler, der den Kauf abwickelte, wusste auch nicht viel mehr. Die Erben hatten ihm den Auftrag erteilt, den Pfarrhof zu verkaufen. Frank war unverheiratet und kinderlos gestorben.

Ich gehe die Schubladen durch. Besteck, Kochlöffel, Dosenöffner.

Der Inhalt der letzten Schublade lässt sich nicht exakt zuordnen. Ich ziehe Müllbeutel, Teelichter, einen Schraubenzieher und ein kaputtes Feuerzeug heraus.

Außerdem einen Packen Plastikkarten. Ich sortiere sie durch: eine Tankkarte, eine Rabattkarte des örtlichen Discounters, die Visitenkarte eines Fensterbauers – und ein Führerschein!

Franks Führerschein!

Mit ernstem Blick schaut mir ein Mann mittleren Alters mit Halbglatze und hängenden Mundwinkeln entgegen.

Das also war Frank!

Ich drehe den Führerschein um. Frank war ziemlich genau mein und Suriyels Jahrgang, stelle ich fest.

Und er hätte in wenigen Wochen Geburtstag gehabt!

Als Suriyel in die Küche kommt um zu überprüfen, ob der Heizkörper warm wird, halte ich ihm Franks Führerschein entgegen.

„Schau, was ich gefunden habe!“

Suriyel dreht den Führerschein in den Händen und betrachtet konzentriert Franks Foto. Er ist genauso berührt wie ich.

„Warum ist der Führerschein noch da? Wollten die Erben den nicht haben?“

„Ich glaube nicht. Sonst hätten die den Führerschein doch mitgenommen.“

Ich zeige auf das Geburtsdatum. „Schau mal. Franks Geburtstag ist nach dem Wochenende, an dem Rinpoche kommt. Wir könnten Rinpoche fragen, ob wir an seinem Geburtstag eine Praxis für Frank machen sollen?“

Das, findet Suriyel, ist eine ausgezeichnete Idee.

Ich lege Franks Führerschein zurück in die Schublade.

Am Tag nach der Einweihung des Pema Choling hole ich den Führerschein von Frank wieder heraus.

Rinpoche wird uns am Abend verlassen.

Nach dem Frühstück zeige ich Rinpoche den Führerschein. „Look Rinpoche, this is the late owner of Pema Choling. He died two years ago. Tomorrow would be his birthday. Can Suriyel and I do a practice for him at his birthday? Maybe Chenrezig?“

Auch Rinpoche betrachtet eingehend Franks Foto. Dann schüttelt er den Kopf.

„No. Not Chenrezig. And not on his birthday. It would bind him to you and to the place. He has to move on. We will do a Sur for him. Today.“

Das, finde ich, ist eine kluge Entscheidung von Rinpoche.

Gleichzeitig bestätigt Rinpoches Antwort meine eigene Einschätzung: Frank hat den historischen Pfarrhof nicht verlassen. Obwohl er bereits vor zwei Jahren gestorben ist.

Eigentlich – so lehrt es der Buddhismus – vergehen zwischen dem Tod eines Lebewesens und seiner Wiedergeburt höchstens 49 Tage.

Aber der Weg aus dem Bardo – dem Reich zwischen Leben und Tod – in ein neues Leben ist ein komplexer und störanfälliger Prozess. Manch einer geht darin verloren.

Mir kommt es so vor, als wäre das auch bei Frank der Fall. Dieses Gefühl, er wäre noch da – unsichtbar, aber energetisch spürbar – begleitet mich durch meine ersten Wochen im historischen Pfarrhof.

Rinpoche scheint es nicht anders zu ergehen.

Deshalb also Sur.

Die Praxis, die Verstorbene in einer Weise nährt, dass ihnen eine gute Wiedergeburt möglich ist.

Am Vormittag versammeln sich alle Gäste im Pavillon.

In einem tragbaren Räuchergefäß bereitet Rinpoche sorgfältig das Rauchopfer für Frank vor.

Dann nimmt er auf dem grünen Samtsessel Platz und führt uns durch die Praxis.

Die einführenden Gebete, Zufluchtnahme, Bodhichitta, schließlich die Transformation der Opfergabe.

Rinpoche nimmt das Schälchen mit dem Sur-Powder und kippt es über die glühende Kohle im Räuchergefäß. Eine schmale Rauchsäule steigt auf.

Er winkt Suriyel zu sich und drückt ihm das qualmende Räuchergefäß und einen Feder-Fächer in die Hand. „Carry it through the house.“

Ich springe auf und folge Suriyel, der mit großen Schritten aus dem Pavillon eilt und das Haupthaus betritt.

Gemeinsam wandern wir von Zimmer zu Zimmer. Suriyel voran, ich hinter ihm her. Beide rezitieren wir ein Mantra. In jedem Zimmer schreitet Suriel von Ecke zu Ecke, während er mit dem Feder-Fächer den Rauch der verbrennenden Opfergabe verteilt.

Nach zwanzig Minuten sind wir wieder zurück im Pavillon. Dort haben während unserer Abwesenheit Rinpoche und die Sangha ebenfalls ein Mantra rezitiert.

Für Frank.

Der jetzt hoffentlich gehen kann. In eine gute neue Wiedergeburt.

Suriyel stellt das Räuchergefäß, in dem immer noch Kohle glüht, vor Rinpoche auf dem Boden. Dann lässt er sich – wie ich – auf dem Meditationskissen nieder.

Auf einmal ruft einer der Dharma-Brüder, der einen Sitzplatz mit Blick auf den Weiher hat, laut auf: „Da! Eine Wasserschlange!“

Wie am Vortag springen alle auf und versuchen, einen Blick auf den Weiher und die Schlange zu erhaschen. https://www.water-runs-east.eu/wasserschlange/

Wieder bin ich zu langsam. Als ich einen Blick durch das Fenster werfen kann, ist die Schlange bereits im Ufergebüsch verschwunden. Genau wie gestern.

„Die war deutlich kleiner, als die von gestern!“, merkt einer aus der Gruppe an, der mehr Glück hatte.

„Die Wasserschlange gestern war der Naga-König. Und das heute war die Naga-Königin!“, erklärt ein anderer mit großer Bestimmtheit.

Rinpoche schweigt dazu. Er macht einen zufriedenen Eindruck.

Das Sur scheint funktioniert zu haben…

Wasserschlange

Während der Einweihung des Pema Choling praktiziert Rinpoche ein Naga-Opfer für die mächtigen Wassergeister – mit verblüffendem Ergebnis!

Es wird Mittag, bis wir mit der Einweihungs-Zeremonie des Pema Choling beginnen können.

Weil Rinpoche das Pema Choling mit einem Naga-Opfer einweihen möchte, mussten erst in aufwendiger Kleinarbeit Tormas – traditionelle Opferkuchen – geknetet werden.

Rinpoche und Suriyel waren sicher eine Stunde damit beschäftigt, aus Haferflockenteig kleine Wassertiere und Kügelchen zu formen. https://www.water-runs-east.eu/opfer/

Jetzt steht der Teller mit den Haferflockentieren und den Kügelchen auf dem improvisierten Altar im Pavillon am Weiher. Daneben befindet sich eine Tasse mit Ziegenmilch, in die Rinpoche eine spezielle nepalesische Kräutermischung gerührt hat.

Während Rinpoche und Suriyel die Tormas basteln, treffen die „Tagesgäste“ ein. Mein Zen-Dharma-Bruder kommt aus Berlin und bringt seine kleine Tochter mit. Eine Dharma-Schwester aus Bayern hat ihren Urlaub so geplant, dass sie auf dem Weg an die Ostsee im Pema Choling vorbeikommen kann. Schließlich fährt mein Bruder samt Familie vor.

Mein Bruder ist der einzige, der das Pema Choling bereits kennt. https://www.water-runs-east.eu/besichtigung/

Alle anderen sind das erste Mal hier – und sind entzückt!

Was mich sehr freut.

Aber vor allem bin ich erleichtert, dass sich der Regen der letzten Tage verzogen hat und – pünktlich zum Besuch von Rinpoche – die Sonne scheint.

Weil schönes Wetter ist, können die Gäste auf der Wiese neben dem Weiher bewirtet werden. Bei Regen hätten wir mit der unsanierten Schwarzküche im Haupthaus vorlieb nehmen müssen.

Und dass nicht alle Gäste in den kleinen Pavillon passen, in dem Rinpoche das Nago-Opfer praktizieren wird, ist bei Sonnenschein auch kein Problem. Wir öffnen die Flügeltüren und wer Innen keinen Platz findet, setzt sich draußen ins Gras.

Überhaupt hat sich alles auf das Beste gefügt!

Der Regen der letzten Tage hat den Wasserspiegel des Weihers merklich ansteigen lassen.

Was ein großes Glück ist!

Durch die Trockenheit des Frühjahrs betrug die Wassertiefe zuvor höchstens einen Meter. Suriyel war so besorgt gewesen, dass das Wasser im Weiher kippen könnte, dass er vor zwei Wochen in der Mitte des Teichs eine Wasserpumpe installierte.

Obwohl der Wasserstand jetzt höher ist, hat Suriyel die Pumpe eingesteckt. In der Mitte des Weihers verankert, plätschert eine Wasserfontäne vor sich hin.

Rinpoche hat von seinem Platz im Pavillon aus einen perfekten Blick auf den Weiher und die Fontäne. Er trohnt neben dem Altar auf meinem grünen Samtsessel und wartet geduldig, bis alle Gäste ihren Platz gefunden haben.

Auf meinem Coffee-Table hat Rinpoche alles platziert, was er für die Zeremonie braucht: Dorje und Glocke, seine kleine Handtrommel, eine Schüssel mit Rauchpulver, eine mit Safran-Wasser gefüllte Bumpa, ein mehrstöckiges Mandala aus Metall und dazu noch einen Stapel länglicher Papierstreifen, auf die der Text des Zeremoniells gedruckt ist.

Die Teilnehmer haben die Texte nur als pdf auf dem Handy. Besser als nichts, aber zum Mitrezitieren mit Rinpoche nicht ideal.

Wir geben trotzdem unser Bestes, mit Rinpoche mitzuhalten, der sich Seite um Seite durch den Text arbeitet.

Als wir mit der Eröffnungsgebeten durch sind, legt Rinpoche überraschend einen Stop ein.

„Is this water-pump neccessary?“, fragt er Suriyel, während er mit dem Finger nach draußen auf die vor sich hin plätschernde Fontäne weißt.

„Not really“, antwortet Suriyel.

„Switch it out“, befielt Rinpoche.

Suriyel steht auf und geht ins Freie. Die Pumpe ist an der Außenwand des Pavillons mit der Steckdose verbunden. Kaum hat Suriyle den Stecker gezogen, legt sich tiefe Stille über den Weiher.

„Much better!“, stellt Rinpoche zufrieden fest, bevor er mit dem Naga-Opfer beginnt.

Zuerst werden die Gäste eingeladen: die Hauptwassergeister, die Dharma-Schützer-Wassergeister und am Schluss die örtlichen Naturwassergeister. https://www.water-runs-east.eu/naga-offering/

Als die Wassergeister-Gäste versammelt sind, weiht Rinpoche die Tormas, kippt die kleinen Haferflocken-Kügelchen in die Ziegenmilch und winkt zwei Dharma-Brüder aus der Gruppe zu sich.

Die beiden bekommen den Auftrag, die Opfer-Kuchen am Ufer des Weihers zu platzieren, während wir anderen – im Pavillon sitzend – wieder und wieder ein Mantra rezitieren.

Den drei Kindern unter den Gästen ist das Zeremoniell inzwischen zu langweilig geworden. Begleitet von ihren Eltern halten sie am Ufer des Weihers Ausschau nach Fröschen.

Die beiden Dharma-Brüder kommen wieder in den Pavillon, den leeren Teller und die leere Tasse in der Hand.

Die Tormas und die in der Ziegenmilch getränkten Haferflockenkügelchen haben sie hinter dem Pavillon direkt am Ufer des Weihers ins Gras gelegt.

Rinpoche greift zur Trommel, um im Ritual fortzufahren. Die Wassergeister-Gäste müssen verabschiedet werden.

Auf einmal werden wir aus unserer Konzentration gerissen. Am Ufer des Weihers herrscht Aufregung. Von meinem Platz aus sehe ich nur die Kinder, die aufgeregt schreiend ins Wasser zeigen.

„Eine Schlange!“, ruft einer, der mit Blick auf dem Weiher im Pavillon sitzt. „Dort schwimmt eine riesige Wasserschlange!“

Alle springen auf, um einen Blick auf die Schlange zu erhaschen und verstellen sich gegenseitig die Sicht.

„Jetzt ist sie im Uferdickicht verschwunden“, erklärt einer aus der Sangha.

Schade. Ich war zu langsam.

Alle sind aufgeregt. Nicht nur die Kinder. Auch die Erwachsenen.

„Die kam von da drüben!“, ruft einer der beiden Männer, der das Naga-Opfer ausgelegt hatte. „Die kam direkt von den Tormas und schwamm danach quer über den Weiher!“

Der einzige, der ruhig und unbeeindruckt bleibt, ist Rinpoche. Er sitzt entspannt auf dem grünen Samtsessel und ist offensichtlich kein bisschen erstaunt über unseren Gast.

Nüchtern betrachtet: Warum sollte er es sein?

Schließlich hatten wir die Nagas – die Wassergeister – ausdrücklich eingeladen. https://www.water-runs-east.eu/nagas/

Und Nagas – das weiß in Nepal und Tibet jedes Kind – sind magische Wasserschlangen.

Wenn keine Wasserschlange käme, wenn Rinpoche ein Ritual für sie volllzieht, wäre er ein schlechter Lama.

So sieht das vermutlich Rinpoche.

Er ist Profi. Ausgebildet als buddhistischer Schamane – denn das sind die Nyingmas, zu denen Rinpoche gehört – seit er acht Jahre alt ist.

Wir dagegen: Naive Westler, die brav ihre Meditation praktizieren. Über Jahre. Manche seit Jahrzehnten.

Und gleichzeitig sind wir nie wirklich sicher, dass das, was wir so hingebungsvoll praktizieren, mehr ist als kluge Psychologie.

Deshalb stellt die Wasserschlange für uns einen Bruch unserer Realität dar.

Nach dem Zeremoniell versammeln sich die Gäste und Rinpoche um die lange Tafel am Weiher. Es gibt Kaffee und Kuchen.

Und einiges zu besprechen.

Opfer

Rinpoche wird das Pema Choling einweihen – mit einem Opfer für die Nagas, die mächtigen Wassergeister. Dafür bedarf es Vorbereitungen…

Rinpoche ist das erste Mal im Historischen Pfarrhof von Dewitz! https://www.water-runs-east.eu/ankunft/

Oder besser: Im Pema Choling. https://pema-choling.de/

Denn das ist der Name des Buddhistischen Zentrums, das im Historischen Pfarrhof von Dewitz entstehen wird.

Norbu Tsering Rinpoche wird der Head Lama des Zentrums sein. Er ist gekommen, um sein Zentrum einzuweihen. https://www.water-runs-east.eu/einweihung/

Für den Fakt, dass wir – Rinpoche, die Sangha und ich – im Historischen Pfarrhof von Dewitz gelandet sind, gibt es keine rationale Erklärung.

Niemand hatte vor, ein Buddhistisches Meditationszentrum zu gründen.

Das einzige, was wir wollten war ein Ort, an dem wir ungestört Throma-Praxis und Opferrituale praktizieren konnten. https://www.water-runs-east.eu/schock/

Für die Nagas. https://www.water-runs-east.eu/nagas/

Die Nagas sind mächtige Wassergeister. Sie verfügen über magische Fähigkeiten. Ihnen zu opfern ist segensreich, aber riskant.

Rinpoche hatte uns während seines Besuchs in Berlin gelehrt, wie man den Nagas Opfer darbringt. https://www.water-runs-east.eu/naga-offering/

Nachdem uns Rinpoche verlassen hatte, suchte ich nach einem Ort, an dem die Sangha ungestört praktizieren konnten.

Auf Suriyels Rat hin schrieb ich ein Buddhistisches Retreathaus im Umland Berlins an. Ich inserierte bei Ebay eine Anzeige. Darin fragte ich nach einem Grundstück im S-Bahnbereich Berlins, auf dem wir ein Zelt aufstellen konnten.

Ohne Erfolg.

Stattdessen: Ein Traum! https://www.water-runs-east.eu/weiher/

Am nächsten Morgen eine Immobilienanzeige des Ortes aus dem Traum.

Dem Historische Pfarrhof von Dewitz.

Perfekt geeignet für ein Buddhistisches Retreathaus. https://www.water-runs-east.eu/retreathaus/

Von Anfang gibt es Indizien dafür, dass der Traum vom Pfarrhof etwas mit den Nagas – den Wassergeistern – zu tun haben könnte:

Der Weiher vor dem Haus.

Die Lage des Historischen Pfarrhofs von Dewitz in der Mecklenburgischen Seenplatte.

Umgeben von Weihern, Tümpeln und Seen.

Naga-Land.

Dazu die beeindruckende Energie des Pfarrhofs! Sie ähnelt auf verblüffende Weise der Energie, mit der wir konfrontiert waren, als Rinpoche das Naga-Opfer im Garten der Spirituellen WG mit uns praktizierte.

So bizarr es klingt: Einiges spricht dafür, dass der Traum, der mich zum Historischen Pfarrhof von Dewitz führte, eine Einladung war.

Eine Einladung der Nagas.

So erkläre ich das auch Rinpoche: Sein wunderbares Naga-Offering im Garten der Spirituellen WG am Prenzauer Berg in Berlin im September 2024 hatte die Nagas aus der Mecklenburgischen Seenplatte herbeigelockt.

Denn zu Beginn des Ritualtextes werden alle Nagas von Fern und Nah zum Opfer eingeladen.

Das erste Opfer für die Nagas seit Jahrhunderten!

Das noch dazu speziell ist. Auch für tibetisch-buddhistische Maßstäbe. Es gibt nicht viele Lamas, die Naga-Opferungen beherrschen.

Und Rinpoche ist ein hoher Lama von außergewöhnlicher Energie.

Deshalb beschloß der Naga-König des Pfarrhofs von Dewitz, mir den Traum zu schicken. Er wollte nicht mich – er wollte Rinpoche!

Denn nur Rinpoche kann den Nagas geben, was sie so dringend brauchen.

Das ist meine Erklärung für die seltsamen Ereignisse, die sich ereignet haben, seit Rinpoche im Garten der Spirituellen WG ein Naga-Offering praktizierte.

Ich finde die Erklärung komplett überspannt.

Rinpoche findet sie plausibel.

Deshalb wird er das Pema Choling mit einem Naga-Opferritual einweihen.

Für das Naga-Opfer werden spezielle Tormas – Opferkuchen – benötigt. https://www.water-runs-east.eu/naga-tormas/

Am Samstagvormittag sitzen Rinpoche und Suriyel an der langen Tafel hinter dem Pavillon und formen Wassertiere aus Haferflockenteig.

Außerdem unbedingt notwendig für das Ritual: Milch einer weißen Ziege!

Netterweise hat ein Sanga-Mitglied eine Packung Ziegenmilch in einem Berliner Biosupermarkt besorgt und mitgebracht.

Auf der Packung ist eine weiße Ziege aufgedruckt. Das reicht – so Rinpoche – als Nachweis dafür, dass die Ziege, von der die Milch stammt, die korrekt Farbe hat.

Rinpoche gießt die Ziegenmilch in eine große Tasse, kippt eine ordentliche Menge Naga-Powder dazu und rührt um.

Anschließend stellt er den Teller mit den Haferflocken-Tieren und der Tasse mit Ziegenmilch auf den Altar im Pavillon.

Die Einweihung kann beginnen!

Glücksverheißend

Rinpoche besichtigt den Grund und die Gebäude das Pema Choling – und ist sehr angetan von dem, was er sieht…

Am Freitag, den 20. Juni 2025 kommt Rinpoche das erste Mal in sein Pema Choling im Historischen Pfarrhof von Dewitz. Er wird feierlich von der Sangha begrüßt und segnet das Pfarrhaus. https://www.water-runs-east.eu/ankunft/

Danach tragen wir zwei Klapptische und ein paar Campingstühle aus der Werkstatt, bauen am Weiher eine improvisierte Tafel auf und essen mit Rinpoche zu Abend.

Curry mit Reis.

Das ißt Rinpoche am liebsten. Weil er – ansonsten von großer Bescheidenheit – empfindsam in Bezug auf Reis ist, habe ich extra einen Reiskocher für ihn gekauft. https://www.water-runs-east.eu/rinpoche/

Nach dem Abendessen werden die Schlafplätze verteilt.

Das ist keine einfache Angelegenheit. Dabei sind wir an diesem Freitagabend nur zu zwölft. Und haben 450 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung.

Zumindest theoretisch.

Denn praktisch läuft es darauf hinaus, dass sich keiner der Gäste dazu aufraffen kann, im unsanierten Teil des Hauses zu übernachten.

Die Zimmer in meiner sanierten Wohnung im Haupthaus sind vergeben: an Rinpoche, seinen Manager und einem Dharma-Bruder mit kleinem Sohn.

Der Rest muss sehen, wo er bleibt.

Auch ich. Denn ich habe mein Zimmer an Rinpoche abgetreten.

Das gehört sich so, hat mir Suriyel bei der Planung des Einweihungswochenendes erklärt: Der Lama bekommt immer das schönste Zimmer!

Das in diesem Fall das meine ist.

Rinpoche ist es ein bisschen unangenehm, als ich ihm mein Zimmer zuweise. Er fragt zwei Mal nach, wo ich schlafen werde.

Ich versichere ihm, dass für mich gesorgt ist.

Dass ich in meinem Crafters übernachten werde, verrate ich ihm nicht.

Es könnte ihn überfordern.

Obwohl der Laderaum des Transporters mit Matratze, Bettzeug und Kuschelkissen sehr gemütlich aussieht.

Suriyel schläft in der Werkstatt.

Zwei Dharma-Brüder übernachten im Pavillon.

Zwei Sangha-Mitglieder sind in ihren Campern angereist. Die parken neben meinem Crafter vor der Werkstatt.

Daneben stehen noch zwei Zelte.

Ich verteile warme Decken, dicke Pullover und Jogginghosen. Nachts hat es um die 10 Grad. Eine Information, die ein paar Gäste verblüfft.

Als ich am nächsten Morgen aus meinem Crafters klettere, empfangen mich die warmen Strahlen der Morgensonne.

Ich habe wunderbar geschlafen.

Die anderen auch, wird mir während des Frühstücks versichert.

Wir nehmen es an unserer Tafel am Weiher ein.

Eine sanfte Brise streicht über die Wasseroberfläche und lässt das Laub im Wallnussbaum rauschen.

In den Kirschbäumen zwitschern die Stare, während sie sich über die reifen Kirschen hermachen.

Rinpoche sitzt auf meinem Garten-Sofa – das Suriyel in der Mitte der Tafel platziert hat – und erfreut sich am perfekten Rührei unseres Sternekochs.

Um vierzehn Uhr soll die Einweihung des Pema Choling beginnen.

Bis dahin ist noch Zeit.

Rinpoche lässt sich von Suriyel und mir das Gelände und die Nebengebäude zeigen.

Den verwilderten Gemüsegarten, indem Johannisbeersträucher und Erdbeeren gegen Brombeerranken und Brennesseln kämpfen.

Den großen Stall mit der schiefen Firstmauer.

Den kleinen Stall mit dem löchrigen Dach.

Als Rinpoche hört, das Suriyel in dem Stall – wenn der saniert sein wird – Schafe halten möchte, ist er entsetzt!

„No sheep!“, erklärt er entschieden.

„Schafe“, so Rinpoche, „machen immer Ärger! Sie verlaufen sich, fressen giftige Pflanzen, werden krank, müssen geschoren werden!“ Rinpoche ist in einem kleinen Bergdorf an den Ausläufern des Himalaya aufgewachsen. Er kennt sich mit Schafen aus. Im Gegensatz zu Suriyel, der seine Kindheit im Herzen Warschaus verbracht hat.

„Da hörst du es!“, sage ich zu Suriyel. „Möchtest du wirklich, dass ich dich nachts um drei in Berlin anrufe, um dir zu sagen, dass eines DEINER Schaf krank ist und du sofort kommen musst?“

Suryiel schaut enttäuscht. Keine Schafe – also auch niemand, der das Gras kurz hält.

Abgesehen von einem Rasenmäher…

Als wir beim Hühnerstall angekommen sind, erkläre ich Rinpoche, dass ich gerne Hühner hätte. Vor ein paar Tagen bin ich zufällig auf einen Bauern im Nachbardorf gestossen, der junge Hühner verkauft. Zehn Hühner und einen Hahn kann ich in dem kleinen Hühnerstall halten, hat mir der Bauer erklärt.

Rinpoche nickt. „Chicken are okay. Chicken are not complicated. Not like Sheep. So Chicken yes, but Sheep no!“

Vor der großen Werkstatt beenden wir den Rundgang. Suryiel eilt von dannen.

Rinpoche und ich bleiben zurück.

Gespannt warte ich, was Rinpoche zum Pema Choling sagen wird.

Der lässt seinen Blick über die große Wiese hinter dem Haus gleiten, bevor er zustimmend nickt. „A really good place! And you did find it through a dream?“

„Yes.“

„This is really auspicious!“ Rinpoche nickt noch einmal bekräftigend, dann eilt er zu Suriyel an den Weiher.

Der wartet schon auf Rinpoche.

Mit den Gebetsfahnen.

Die müssen dringend aufgehängt werden.

Denn aus dem Historischen Pfarrhof von Dewitz wird hier und heute das buddhistische Zentrum Pema Choling.

Ankunft

Am Nachmittag des 20. Juni ist es endlich so weit: Rinpoche kommt das erste Mal in den historischen Pfarrhof von Dewitz.

Drei Monate ist es her, seit ich den Kaufvertrag für den historischen Pfarrhof von Dewitz unterschrieben habe. https://www.water-runs-east.eu/notartermin/

Vor neun Monaten kam ich das erste Mal in Kontakt mit dem Pfarrhof. Durch einen Traum! https://www.water-runs-east.eu/weiher/

In der Woche, bevor ich den Traum vom Pfarrhof träumte, war Rinpoche bei uns in Berlin gewesen. Er hatte mit uns Sur und Naga Offering praktizert. https://www.water-runs-east.eu/naga-offering/

Bevor sich Rinpoche letzten September von mir verabschiedete, versprach er, im nächsten Jahr wieder zu kommen. Für ein Troma Retreat. Wohin auch immer. https://www.water-runs-east.eu/retreat/

Und heute ist es endlich so weit! Rinpoche wird das erste Mal in den historischen Pfarrhof von Dewitz kommen.

Oder besser: In das Pema Choling!

Denn so soll das zukünftige Buddhistische Zentrum im historischen Pfarrhof von Dewitz heißen.

Das hat Rinpoche beschlossen.

Nachdem ich ihn per WhatsApp über meinen Taum informiert und gefragt hatte, ob er sich vorstellen könne, dort mit mir zu leben und zu arbeiten.

Als Head Lama.

Ich hatte gerade mal mit dem Immobilienmakler telefoniert und einen Besichtigungstermin vereinbart.

Aber ich wusste von Anfang an: Ohne Rinpoche würde das alles keinen Sinn machen.

Da konnte der Traum noch so verblüffend, und der Pfarrhof noch so schön sein.

Was sollte ich – unwissend und ahnungslos wenn es um die Geheimnisse des buddhistischen Tantra geht – mit einem buddhistischen Meditationshaus?

Denn das war es, was mir der Traum gesagt hatte: Ich solle ihn kaufen, damit „die Sangha dort ihre Praxis machen soll!“. So hatte ich das in dem Traum Suriyel erklärt.

Ohne Rinpoche kein buddhistisches Meditationshaus.

Rinpoche reagierte zuerst enthusiastisch auf mein Angebot. Dummerweise wegen eines Missverständnisses: er hatte gedacht, ich hätte ihm angeboten, in der Spirituellen WG am Prenzlauer Berg dauerhaft zu leben und zu arbeiten.

„I really like this place!“, schrieb er mir zurück. „Berlin is great!“

„Sorry, Rinpoche!“, schrieb ich ihm zurück. „It´s not in Berlin!“

Statt des schönen Townhouses in Berlin konnte ich Rinpoche lediglich ein Leben am Ende der Welt in einem sanierungsbedürftigen Anwesen anbieten.

Seine Reaktion darauf viel gedämpft aus: „I´ll do a Mo when I´ll be back in Kathmandu.“

Ein „Mo“ ist eine Prophezeiung.

Wie die ausfallen würde, war völlig offen.

Rinpoche tingelte gerade durch Europa. Zurück in Kathmandu würde er frühestens Ende November sein.

Bis dahin war der Pfarrhof möglicherweise schon an einen anderen Interessenten verkauft.

Ich beschloss, dass die Sache mit dem Pfarrhof ein bizarrer Störunfall meiner Tantra-Praxis gewesen war.

Mehr aber auch nicht.

Suriyel reagierte erkennbar erleichtert auf Rinpoches verhaltene Begeisterung.

Rinpoche wusste nicht, was er von der Sache halten sollte.

Suriyel wusste es dagegen umso besser: Er hielt definitiv überhaupt nichts davon! https://www.water-runs-east.eu/hurra-aktion/

Umso größer war mein Schock – und auch der von Suriyel – als ich drei Tage später völlig unerwartet eine Nachricht von Rinpoche erhielt.

Ich werde den Augenblick nie vergessen!

Wir waren alle gemeinsam im Tibetisch-Buddhistischen Zentrum von Friedrichshain. https://www.water-runs-east.eu/das-buddhistische-zentrum/

Wie jeden Sonntag leitete Suryiel erst die „Grüne-Tara-Praxis“ an, danach das wöchentliche Riwo Sang Chö. https://www.water-runs-east.eu/rauch/

Nach Abschluss der Praxen – noch an meinem Platz im Tempel sitzend – schaltete ich den Flugmodus meines Handys aus.

Eine Nachricht poppte auf.

Von Rinpoche.

„Mo is good“, schrieb er.

„Name of Centre is „Pema Choling“.

„You will organise everything.“

Neun dramatische Monate später wird Rinpoche das erste Mal in seinem Pema Choling im historischen Pfarrhof von Dewitz erwartet.

Um kurz vor 15 Uhr schickt mir Suriyel eine Nachricht aus Berlin: „Wir brechen jetzt auf.“

Zwei Stunden bleiben uns noch, bis Rinpoche eintrifft.

Gerade genug Zeit, um den improvisierten Altar im Pavillon aufzubauen, das Abendessen vorzubereiten und das letzte Unkraut vor dem Eingang des Pema Chöling zu entfernen.

Wir kriegen es sogar hin, dass alle Sangha-Mitglieder duschen und sich umziehen können, bevor Rinpoche vorfährt.

Als es dann endlich so weit ist, stehen wir nebeneinander aufgereiht vor dem Eingang, jeder hält einen Katak – den traditionellen weißen Schal – und einen Briefumschlag in der Hand. Darin: eine ungerade Anzahl von Geldscheinen.

Genauso muss es sein, wenn ein hoher Lama eintrifft.

So habe ich das von meiner Khandro letzten September gelernt. https://www.water-runs-east.eu/linienhalter/

Wir sind jetzt keine versprengte kleine Sangha mehr, deren Praxis im tibetisch-buddhistischen Zentrum von Friedrichshain eher erduldet wird.

Nein!

Wir sind die Sangha des Pema Choling.

Deshalb müssen wir jetzt professioneller werden.

So erkläre ich das den anderen Sangha-Mitgliedern, während ich darauf achte, dass alle in Reihe und Glied stehen.

Kurz darauf biegt Suriyels Toyota in die Zufahrt ein. Mit Rinpoche auf dem Beifahrersitz.

Der schaut ein bisschen erstaunt, als er uns alle – die Kataks über die ausgestreckten Arme, die Briefumschläge in den Händen – aufgereiht stehen sieht.

So viel Formbewusstsein ist er von der Berliner Sangha nicht gewohnt.

Erkennbar erfreut lässt er sich von mir begrüßen, legt erst mir, dann der Reihe nach den anderen die Kataks um den Hals, drückt seine Stirn gegen die ihre und nimmt die Briefumschläge in Empfang.

Dann schaut er sich interessiert um.

„Rinpoche, the first time you are entering Pema Choling you have to walk through the main entrance!“, erkläre ich ihm.

Das macht organisatorisch keinen Sinn. Der Haupteingang führt in den unsanierten Teil des Hauses, den wir noch nicht nutzen können.

Aber irgendwann in Zukunft wird das der Eingang zum Zentrum sein.

Das Klingelschild habe ich schon mit „Pema Choling“ beschriftet.

Rinpoche schreitet feierlich die – von Unkraut befreiten – Treppenstufen hoch. Suriyel hält ihm die Tür zum Flur auf.

Als Rinpoche über die Schwelle tritt, kommen mir die Tränen.

Wir haben es tatsächlich geschafft!

Hier ist Rinpoche! Im Pema Choling von Dewitz!

Das alles – wird mir in diesem Moment bewusst – ist ein einziges Wunder!

Ein kleiner rundlicher buddhistischer Lama aus Nepal, geboren in Mugu, einer abgeschiedenen Provinz an der Grenze zu Tibet.

In einem evangelischen Pfarrhof, erbaut 1800, in der Mecklenburgischen Provinz.

Zusammengeführt durch einen Traum…

Langsam und konzentriert geht Rinpoche von Raum zu Raum, während er mit gedämpfter Stimme unablässig ein Mantra rezitiert.

Schweigend wandern wir hinter ihm her.

An den Wänden hängen zerschlissene Tapeten, von der Decke bröckelt der Putz.

In uns ist Stille und Freude.

Einweihung

Aus dem Historischen Pfarrhof von Dewitz wird das Buddhistisches Zentrum Pema Choling. Rinpoche wird es einweihen.

Gerade einmal neun Monate ist es her, dass Rinpoche das erste Mal zu Besuch war. https://www.water-runs-east.eu/rinpoche/

In der Spirituellen WG in Berlin. https://www.water-runs-east.eu/spirituelle-wg/

Damals. In einem anderen Leben.

Dass dieses „damals“ gerade einmal ein Dreivierteljahr zurück liegt, verblüfft mich. Es fühlt sich an wie ein Dreivierteljahrhundert!

Ein Traum schleuderte mich aus dem Townhouse am Prenzlauer Berg und katapultierte mich in den historischen Pfarrhof von Dewitz. https://www.water-runs-east.eu/weiher/

Im Alten Leben bestand mein persönliches Reich aus vierundzwanzig Quadratmetern WG-Zimmer mit zwanzig Quadratmetern Dachterrasse.

Zur Miete.

Im Neuen Leben bewohne ich alleine ein Haus mit 450 Quadratmetern Wohnfläche, umgeben von einem halben Hektar Grund.

Dazu kommen noch mehrere Nebengebäude.

Und das alles gehört mir. https://www.water-runs-east.eu/notartermin/

Allerdings habe ich den alten Pfarrhof nicht für mich gekauft – und den Grund per Erbpacht von der Evangelischen Kirche gepachtet – sondern für Dharma, Lama und Sangha.

Dazu hatte ich im Oktober 2019 bei meiner Khandro Zuflucht genommen. https://www.water-runs-east.eu/zuflucht/

Damals war es unvorstellbar, dass ich – als Konsequenz dieser Zufluchtnahme – einen riesigen historischen Pfarrhof in der Mecklenburgischen Seenplatte kaufen und ein Buddhistisches Retreathaus eröffnen würde.

Aber genauso ist es gekommen.

Denn in dem Traum, der mich zum Historischen Pfarrhof von Dewitz führte, erklärte ich Suriyel, dass „dies der Ort ist, an dem unsere Sangha Praxis machen soll“.

Unter dieser Prämisse verhandelte ich mit der Evangelischen Kirche von Mecklenburg Kauf und Erbpacht.

Es dauerte sechs zähe Monate, bis sich das Entscheidungsgremium der Evangelischen Kirche dazu durchringen konnte, der Gründung eines buddhistischen Meditations- und Retreathauses auf ihrem Grund – und in einem ehemaligen Pfarrhaus – zuzustimmen.

Monatelang wurde ich im Zweiwochentakt vertröstet. Immer hieß es, bei der nächsten Sitzung würde eine Entscheidung für oder gegen das buddhistische Zentrum fallen.

Und dann wurde die Entscheidung auf den nächsten Sitzungstermin vertagt.

So ging das von Oktober 2024 bis Februar 2025.

Inzwischen war ich aus der Spirituellen WG ausgezogen, meine Möbel wurden von der Spedition eingelagert.

Ich übernachtete in Gästezimmern und auf Sofas des Freundeskreises.

Monatelang.

Denn es wurde Juni, bis ich endlich in mein neues Zuhause ziehen konnte. https://www.water-runs-east.eu/einzug/

Damals – als Rinpoche zu Besuch in Berlin war – versprach er mir zum Abschied, dass er im darauffolgenden Jahr wiederkommen würde. Für ein Retreat. https://www.water-runs-east.eu/retreat/

Thröma. https://www.water-runs-east.eu/throma-nagmo/

Und er erteilte mir einen Auftrag: Ich sollte das Retreat organisieren. Und einen Ort finden, an dem wir das Retreat durchführen konnten. Die Spirituelle WG war dafür nicht geeignet.

Bereits im Januar – als noch nicht klar war, ob ich das Pfarrhaus überhaupt kaufen konnte – teilte mir Rinpoche mit, dass er im Juni 2025 zu mir kommen würde.

Um das versprochene Thröma-Retreat abzuhalten.

Egal wohin.

Weder Rinpoche noch ich – noch sonst irgendjemand – hatte im September 2024 damit gerechnet, dass wir uns in unserem eigenen Buddhistischen Retreathaus wiederfinden würden!

Aber so ist es gekommen.

Gerade einmal drei Wochen bleiben nach meinem Einzug, dann wird Rinpoche das erste Mal in den Historischen Pfarrhof von Dewitz kommen!

Nach einigem Hin und Her entscheiden wir, dass das Thröma-Retreat erst im nächsten Jahr stattfinden wird.

Stattdessen wird Rinpoche das Buddhistische Zentrum im Historischen Pfarrhof von Dewitz einweihen.

In kleiner Runde.

Die offizielle Einweihung verschieben wir ebenfalls auf das kommende Jahr.

Mehr ist in drei Wochen Vorbereitungszeit nicht zu schaffen.

Und auch das ist elendig knapp!

Von Morgens bis Abends bin ich mit Aufräumen, Putzen, Unkrautjäten und Einkaufen beschäftigt.

An den Wochenenden kommt Suriyel, um mir zu helfen.

Drei Tage vor Rinpoches Besuch treffen Freunde ein, um ebenfalls mit Hand anzulegen.

Die ganze Zeit denke ich, das wir das alles nie rechtzeitig hinbekommen werden!

Aber wir schaffen es.

Wieder mal ein kleines Wunder…

Kidnapping

Damit ich nicht allein in meiner Wohnung im historischen Pfarrhof von Dewitz leben muss, plane ich eine Entführung…

Seit einer Woche lebe ich jetzt im historischen Pfarrhof von Dewitz. https://www.water-runs-east.eu/einzug/

Zu meiner Verblüffung bin ich glücklich hier!

Dabei hatte ich gedacht, ich würde mich einsam und allein zu Tode fürchten. https://www.water-runs-east.eu/allein/

Meine Angst war unbegründet: Ich habe einen Gefährten gefunden!

Einen schwarz-weißen Britisch-Kurzhaar-Kater, den es irgendwie auf den Pfarrhof verschlagen hat. https://www.water-runs-east.eu/kater/

Ich habe keine Ahnung wie alt er ist, wie er heißt und wo er herkommt?

Aber das ist egal.

Das entscheidende ist: er ist da!

Wenn ich morgens aufwache, führt mich mein erster Weg – im Schlafanzug – vor das Haus. Irgendwo auf dem Gelände finde ich ihn immer, den kleinen Kater. Wenn er mich hört – in Ermangelung eines Namens rufe ich ihn „Spätzle“ – kommt er angetrabt.

Er lässt sich streicheln und legt Wert darauf, dass ich ihm beim Frühstück Gesellschaft leiste.

Danach möchte der Kater ausführlich gebürstet werden, bevor er wieder zwischen den Gebäuden des Pfarrhofs verschwindet.

Abends dasselbe Spiel: Das Spätzle lässt sich vor dem Haus füttern, streicheln und bürsten, dann geht es wieder.

In den ersten Tagen bin ich dem Kater nicht böse, dass er sich wieder verabschiedet. So verfloht und voller Zecken wie er ist, möchte ich ihn nicht in der Wohnung haben.

Aber wenn die weg sind, habe ich an unserem ersten gemeinsamen Morgen beschlossen, soll er mein Haustier werden! Dann soll er bei mir wohnen und wir lassen es uns gemeinsam gut gehen.

Damit dieser glückliche Umstand baldmöglichst eintritt, bestelle ich online ein Spot-on-Präparat gegen Zecken und Flöhe. Zwei Tage später ziehe ich es aus dem Briefkasten.

Weil der Kater nur ein paar Meter vom Briefkasten entfernt im Gras liegt, schreite ich auf der Stelle zur Tat. Es dauert nur ein paar Sekunden, schon habe ich ihm den Inhalt einer Ampulle in den Nacken getropft.

Morgen – denke ich währenddessen – hat das Zeug gewirkt. Dann kann er einziehen!

Am nächsten Morgen stelle ich jedoch erst einmal fest, dass der kleine Kater nicht wie sonst munter und vergnügt ist. Er wirkt apathisch und hat keinen Appetit.

Das Anblick des matten Katers löst heftige Schuldgefühle in mir aus: Habe ich ihn am Ende mit dem Spot-on-Mittel vergiftet? Ich dachte, er wäre ein gesunder Kater in seinen besten Jahren, aber was, wenn er ein Nierenleiden hat?

Den ganzen Tag quäle ich mich mit diesem Gedanken.

Als ich den Kater am nächsten Morgen füttere, stelle ich zu meiner Erleichterung fest, dass es ihm wieder besser geht. Er frisst mit gutem Appetit und schnurrt tiefenentspannt, als ich ihn bürste.

Puh!!!

Ich beschließe, ihn erst wieder zu spoten, wenn der Tierarzt seine Blutwerte kontrolliert hat.

Aber erst einmal ist er ohne Flöhe und Zecken. Das Spot-on-Präparat wirkt.

Er kann also in meine Wohnung einziehen.

Nicht eine Sekunde kommt mir der Gedanke, dass der kleine Kater das möglicherweise garnicht will!

Schließlich ist er ein verschmuster Kater! Und noch dazu Britisch Kurzhaar!

Was soll so ein Tier anderes wollen, als auf meinem Sofa zu liegen und sich ausführlich von mir kraulen zu lassen?

Dort ist es viel bequemer als auf der Wiese oder dem Treppenabsatz vor der Haustür.

Ganz besonders bei diesem Wetter: Es nieselt. Nachts hatte es acht Grad.

Welche vernünftige Katze möchte da nicht lieber in der warmen gemütlichen Wohnung sein?

So erkläre ich das dem Kater, während ich ihn mit Hilfe von Leckerli zur Wohnungstür führe.

Dort angekommen, trete ich in den Flur und locke den nassen Kater mit warmen Worten und einem weiteren Leckerli.

Er schaut interessiert, weigert sich aber stur, über die Schwelle zu treten.

Alle meine Überredungskünste sind vergebens.

Das darf doch nicht wahr sein!

Ich beschließe, den Kater zu seinem Glück zu zwingen. Wenn er erst einmal in der Wohnung ist, wird er merken, wie angenehm es hier ist!

Entschlossen greife ich zu, schiebe den Kater in den Flur und versuche die Haustür hinter ihm zu schließen.

Aber so schnell kann ich garnicht schauen, da ist er schon an mir vorbei und ins Freie geschossen.

Übel hat er es mir nicht genommen, stelle ich am Abend erleichtert fest. Er lässt sich von mir streicheln und bürsten.

Nur: Als ich das Manöver ein zweites Mal versuche, hetzt er wieder durch die Wohnungstür und verschwindet im abendlichen Nieselregen.

Am Samstag kommt Suriyel aus Berlin zu mir in den historischen Pfarrhof.

Oder besser: zu uns.

Nachdem er mich begrüßt hat, krault er ausführlich das Spätzle.

Beim Mittagessen berichte ich Suriyel von meinen vergeblichen Versuchen, den Kater in die Wohnung zu locken.

Und ich erzähle ihm von meinem Plan: Ich möchte das Spätzle kidnappen!

Nach ein paar Tagen in der warmen Wohnung wird der Kater doch wohl einsehen, dass es dort schöner ist, als bei Regen und Kälte im halb verfallenen Stall zu schlafen!

Allerdings bekomme ich das nicht alleine hin. Um den Kater in die Wohnung zu locken, brauche ich Suriyels Unterstützung.

Aber der schüttelt energisch den Kopf: „Wenn der Kater nicht will, dann will er nicht!“

Damit ist das Thema für ihn erledigt.

Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich damit abzufinden.

Ich habe zwar einen Gefährten, aber kein Haustier…

Kater

Ich ziehe in den historischen Pfarrhof von Dewitz – und bin dort nicht so einsam, wie ich das befürchtet hatte…

Ich bin die neue Besitzerin des historischen Pfarrhofs von Dewitz in der Mecklenburgischen Seenplatte.

Gezwungenermaßen.

So sehe ich das zumindest.

Suriyel ist anderer Meinung: Dass ich den Pfarrhof durch einen Traum gefunden habe, bedeute noch lange nicht, dass ich ihn kaufen müsse, erklärte er mir in den letzten Monaten wieder und wieder. https://www.water-runs-east.eu/weiher/

Während Suriyels wütenden Ausführungen klatschte mein Ego jedesmal begeistert Beifall. https://www.water-runs-east.eu/katastrophen-modus/

Meine intuitive Innere Stimme blieb unerbittlich: „Kauf es!“, flüsterte sie mir wieder und wieder ins Ohr. „Es wird nicht zu deinem Schaden sein!“

In meinem Leben passiert, was meine intuitive Innere Stimme will. Da kann mein Ego – und Suriyel – noch so Amok laufen. https://www.water-runs-east.eu/schizophrene-beziehungskrise/

Also unterschreibe ich im März den Kaufvertrag für den historischen Pfarrhof. https://www.water-runs-east.eu/notartermin/

Und ziehe Anfang Juni ein. Mit Suriyels tatkräftiger Unterstützung. https://www.water-runs-east.eu/einzug/

Obwohl er mir in den letzten Monaten gebetsmühlenartig erklärt hat, dass er nichts mit der ganzen Sache zu tun haben möchte!

Ich hatte es ihm von Anfang an nicht wirklich abgenommen. Und er sich selbst vermutlich auch nicht…

Wie auch immer: Das Wochenende meines Einzugs ist zu Ende gegangen. Suriyel hat mich gestern Abend alleine auf dem riesigen Pfarrhof zurückgelassen und ist nach Berlin gefahren. https://www.water-runs-east.eu/allein/

Ich gehe zu Bett in Erwartung einer unruhigen Nacht.

Aber als ich am Morgen aufwache, stelle ich fest, dass ich ausgezeichnet geschlafen habe!

Verblüfft stehe ich auf und trete ans Fenster, um einen Blick auf den Weiher vor dem Haus zu werfen.

Und schon erlebe ich die nächste Überraschung: Ich bin nicht allein!

Auf der windschiefen Holzbank am Ufer des Weihers schläft der weiß-schwarze Kater!

Suriyel hat ihn gestern entdeckt. Oder möglicherweise hat der Kater Suriyel entdeckt, wer weiß?

Das Entzücken war jedenfalls auf beiden Seiten groß!

Als ich dazu kam, war die Kennenlernphase bereits abgeschlossen. Suriyel hockte auf der Wiese neben dem Weiher und bürstete eine kleine runde schwarz-weiße Katze.

Mit einer Hundebürste, die er im Heizungsraum gefunden hatte.

„Wo kommt die denn her?“

„Es ist ein Kater!“, korregierte mich Suriyel.

Richtig. Unkastriert, stellte ich fest, als mir der Kater seine Unterseite darbot, während Suriyel seinen runden Bauch striegelte.

Ich ging neben den beiden in die Knie – und erntete einen misstrauischen Blick des fremden Katers.

Leider verfüge ich nicht über Suriyels magische Fähigkeiten: Tiere und Kinder scheinen sich auf besondere Weise zu ihm hingezogen zu fühlen.

Dafür konnte ich etwas anderes anbieten: Katzenfutter!

Weil mein Bruder im April bei einem Besuch im Pfarrhof auf eine magere trächtige Katze gestossen war, hatte ich sicherheitshalber eine Schachtel Trockenfutter besorgt.

Schwarz-weiß wäre sie gewesen, hatte mir mein Bruder hinterher erzählt.

Während Suriyel und ich dem Kater dabei zusahen, wie er das Trockenfutter verschlang als gäbe es kein Morgen, rätselte ich darüber, ob das die Katze war, die mein Bruder gesehen hatte?

Die Farbe würde passen. Nur: War mein Bruder so unbedarft, einen rundlichen kleinen Kater für eine trächtige Kätzin zu halten?

Egal.

„Wem der wohl gehört?“

Suriyel wiegte nachdenklich den Kopf. „Wenn er denn jemandem gehört.“

Ich musste ihm zustimmen: Der Kater war zwar nicht mager, aber wohlversorgt sah er definitiv nicht aus. Er war über und über mit Zecken bedeckt und so wie er sich zwischendurch kratzte, hatte er auch noch Flöhe.

Seine Ohren waren an den Rändern zerfetzt, quer über die Stirn klaffte eine Wunde und der Nasenrücken war blutig gekratzt.

„Er hat sich mit einem anderen Kater geprügelt“, kommentierte Suriyel die Verletzungen.

„Ich wette, er wurde verprügelt! Der wiegt doch nicht mehr als fünf Kilo! Und dazu ist er noch ein Britisch Kurzhaar! Die sind dafür gezüchtet, dass sie auf dem Sofa herumliegen und nicht, dass sie sich alleine durch die Wildnis schlagen!“

Vermutlich ein Covid-Opfer, schlussfolgerte ich. Irgendjemand hatte sich während des Lockdowns kurz entschlossen eine Rassekatze zugelegt. Als der erste Urlaub möglich war, wusste der Besitzer nicht wohin mit dem Kater, also wurde er auf dem Weg an die Ostsee in der Mecklenburgischen Seenplatte ausgesetzt.

Dazu würde auch das Alter passen. Ganz jung war er offensichtlich nicht mehr, der fremde Kater.

Suriyel waren meine Mutmaßungen egal. Es musste was passieren.

Wir schritten zur Erstversorgung. Nachdem ich dem Kater mit Wundspray Stirn und Ohren besprüht hatte, kraulte ich ihn, während Suriyel in gewohnter Geschicklichkeit eine Zecke nach der anderen herausoperierte.

Als der Kater genug hatte, kratzte er mich, drehte sich um und ging.

Ich besprühte meinen blutenden Finger mit dem Wundspray, das neben mir auf der Wiese lag und ging davon aus, dass der Kater so bald nicht wiederkommen würde.

Ich hatte mich getäuscht.

Als ich den Kater zusammengerollt auf der Bank schlafen sehe, kann ich mein Glück nicht fassen: Ich bin nicht allein!

Ohne lange nachzudenken hole ich die Schachtel mit dem Trockenfutter aus der Küche und laufe im Schlafanzug vor das Haus.

Der Kater schreckt hoch, als er meine Schritte hört, freut sich dann aber offensichtlich genauso wie ich, dass er nicht alleine ist.

Die leere Schüssel steht noch vor dem Hauseingang. Ich setzte mich auf die Hausbank neben der Tür und sehe dem Kater beim Fressen zu.

Danach hole ich die Hundebürste aus dem Pavillon, setze mich auf die Treppe und bürste den Kater.

Der schnurrt wie eine Nähmaschine.

Als er genug hat, kratzt er mich.

Das dämpft meine Begeisterung für das neue Haustier etwas.

Egal.

Wir sind jetzt zu zweit im historischen Pfarrhof von Dewitz…

Allein

Auf einmal lebe ich im historischen Pfarrhof von Dewitz – komplett auf mich gestellt, umgeben von vielen wilden Tieren…

Am Abend des Pfingstmontag verabschiedet sich Suriyel von mir und bricht auf nach Berlin. Morgen muss er wieder arbeiten.

Ich bin ihm zutiefst dankbar dafür, dass er mir bei meinem Einzug in den historischen Pfarrhof von Dewitz geholfen hat. https://www.water-runs-east.eu/einzug/

„Ohne dich wäre ich komplett verloren gewesen!“, hatte ich ihm beim gestrigen Abendessen erklärt.

Suriyel überlegte kurz, bevor er zustimmend nickte. „Das stimmt. Alleine hättest du das nicht hinbekommen.“

Suriyel reparierte die Solartherme und aktivierte das komplizierte Heizsystem. https://www.water-runs-east.eu/heizung/

Er schleppte Möbel, baute Tisch und Bett auf, schraubte zwischendurch ein paar Lampen an. Kurz: er tat, was zu tun war.

Und ich konnte einfach nur herumstehen und mich überwältigt und überfordert fühlen…

Damit ist es jetzt vorbei. Bang sehe ich seinem silbernen Toyota nach, der durch das elektrische Tor rollt und in der Abenddämmerung an der Abzweigung in Richtung Bundesstraße verschwindet.

Jetzt bin ich komplett auf mich gestellt! Umgeben von Fremden! Und gleich ist es Nacht!

Umso dringlicher ist es mir, das Tor zu schließen. Hektisch drücke ich auf den Knopf der Fernbedienung. Die beiden Flügel des Tors zucken und bewegen sich gemächlich auf einander zu.

Zu meinem Entsetzen stocken sie, kurz bevor sie sich berühren und gehen wieder auf!

Langsam zähle ich bis zehn und drücke ein weiteres Mal den Knopf der Fernbedienung.

Wieder dasselbe Schauspiel: Das Tor geht halb zu – und dann wieder auf.

Ich erleide einen Nervenzusammenbruch!

Zehn Minuten später parkt Suriyel vor der Einfahrt des historischen Pfarrhofs, nimmt mir die Fernbedienung aus der Hand und drückt auf den Knopf.

Zu meiner Erleichterung schließt das Tor wieder nicht. Es wäre höchst peinlich gewesen, wenn er zurückgekommen wäre nur um festzustellen, dass ich zu blöd bin, auf einen Knopf zu drücken.

„Das Gras ist zu hoch“, erklärt mir Suriyel, während er in die Knie geht und beginnt, mit der Hand Gräser und Löwenzahn in der Einfahrt auszureißen.

„Da sind Sensoren dran, damit das Tor nicht gegen die Motorhaube oder die Stoßstange knallt. Die reagieren auf das Gras.“

Nachdem er etwa fünf Minuten Unkraut gerupft hat, geht er vor das Tor und drückt probeweise die Fernbedienung. Elegant schwenken die beiden Torflügel nach Innen und schließen sich mit einem vernehmlichen „Klack“.

„Na bitte!“, erklärt mir Suriyel zufrieden, während er mir die Fernbedienung über das Tor reicht. „Du musst nur darauf achten, dass das Gras in der Einfahrt kurz geschnitten ist.“ Damit winkt er mir noch einmal zu, springt in sein Auto und fährt davon.

Ich stehe hinter dem Tor und sehe ihm nach, während ich spüre, wie mein Atem kommt und geht.

Das bewährte Mittel gegen Panikattacken…

Nach ein paar Minuten habe ich die Angst im Griff. Ich bin in der Lage, mich umzudrehen und den Pfarrhof zu betrachten.

Die Äste der Bäume rauschen im Wind. Ein paar Schwalben schießen in der Abenddämmerung um das Stalldach. Im Weiher paddeln Frösche.

Hinter der Werkstatt geht die Sonne unter.

Es ist wunderschön hier.

Ich bin ganz allein.

Nur ich – und viele wilde Tiere…

Heizung

Suryiel führt mich in die Geheimnisse des Heizsystems des historischen Pfarrhofs von Dewitz ein. Ob ich das jemals selbst hinbekommen werde?

Ich schlafe gut in meiner ersten Nacht im neuen Zuhause. https://www.water-runs-east.eu/einzug/

Suriyel auch. Obwohl es nicht sein „neues Zuhause“ ist, wie er immer wieder betont.

Nach dem Frühstück führt er mich in den unsanierten Teil des Haupthauses. Hinter der historischen Schwarzküche befindet sich ein hölzerner Anbau. In dem ist die Heizanlage untergebracht.

Suriyel wird heute Abend nach Berlin zurückkehren. Morgen muss er wieder arbeiten.

Deshalb ist es an mir, zu lernen, wie ich alleine mit der Heizung klarkomme.

Einer komplizierten Konstruktion, bestehend aus einem Holzscheit-Brenner, einer Gastherme und obendrauf noch einer Solartherme.

Suriyel ist begeistert davon. „So ein tolles System!“, erklärt er mir, während er die verschiedenen Displays kontrolliert. „Alles ist gut aufeinander abgestimmt!“

Er referiert die Bestandteile: „Das hier sind die beiden Pufferspeicher.“ Er zeigt auf die beiden Tanks, die in ihren dicken Isolierschichten aussehen wie überdimensionierte Michelin-Männchen.

„Der hier“, er weißt auf den größeren, „speichert innen das warme Verbrauchswasser, das von der Solartherme erhitzt wird und außen das Wasser für das Heizungssytem. Das wird von der Holzscheit-Heizung erhitzt. Wenn du mal keine Zeit zum Einheizen hast, kannst du auch die Gastherme einschalten. Aber bei den aktuellen Gaspreisen würde ich das nur machen, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Holz hast du ja genug.“

Das stimmt: Auf dem Gelände und in den Nebengebäuden lagern unzählige Kubikmeter Holz, die für viele Jahre reichen.

„Der kleinere Pufferspeicher ist nur für das Heizsystem“, fährt Suriyel fort.

Ich bin kurz abgelenkt: Hat Suriyel doch tatsächlich den Pin-up-Girl-Kalender über dem Brenner umgeblättert!

Gestern war da noch ein lasziv lächelndes Model im durchsichtigen weißen Häkel-Top, heute ist es eines in braunem Gaze!

Das hätte ich Suriyel nicht zugetraut! Über der Werkbank im Tibetisch-Buddhistischen Zentrum von Friedrichshain hängen züchtig die letzten drei Karmapas und der Dalai Lama! https://www.water-runs-east.eu/das-buddhistische-zentrum/

Der Pin-up-Girl-Kalender stammt vom Vorbesitzer des Pfarrhofs. Einem Mann namens Frank. Dieser Frank scheint ein begabter Handwerker gewesen zu sein. Das Heizungssystem, das elektrische Gartentor, all die klugen Dinge in der Werkstatt – das alles verdanken wir diesem verstorbenen Frank.

Suriyel findet immer wieder einen Grund, sich lobend über Frank zu äußern.

Auch ich bin dem unbekannten Frank dankbar dafür, dass er dafür gesorgt hat, dass ich jetzt in einer sanierten Wohnung leben darf, warmes Wasser und Heizung habe und Suriyel glücklich über die riesige Werkstatt ist.

Allerdings bin ich auf eine Reihe von Indizien gestossen, die vermuten lassen, dass mein Vorgänger ein antiquiertes Frauenbild pflegte. Und überhaupt zu Frauen ein eher kompliziertes Verhältnis zu unterhalten schien.

Nicht nur der vergilbte Pin-up-Girl-Kalender über dem Heizkessel und die anderen leicht bekleideten Mädchen, die mir von den vielen Email-Schildern und Plaketen im Heizungsraum entgegen lächeln, lassen diesen Schluss zu.

Am sprechensten finde ich ein Email-Schild in der riesigen Sammlung am Werkstatttor: „Frauen an die Macht!“ steht da. Und darunter: „Macht Kaffe! Macht Essen! Macht Sauber!“

„Kein Wunder, dass Frank nie eine Frau gefunden hat, die ihn geheiratet hat.“, stelle ich fest, als ich diesen Ausbund an Dämlichkeit entdecke.

Suriyel schweigt dazu. So ist das mit den Männern: Eine Krähe hakt der anderen kein Auge aus…

Suriyel in seinem Reich: Der riesigen Werkstatt des historischen Pfarrhofs von Dewitz.

„Was machen wir mit den ganzen Plaketten und Bildern?“, frage ich Suriyel.

„Hängen lassen“, kommt es zurück.

Jetzt spare ich mir den Kommentar dazu. Das ist keinen Streit wert.

Nichtsdestotrotz werde ich bei nächster Gelegenheit den Akkuschrauber herausholen und Franks Sammlung an die neuen Besitzverhältnisse anpassen.

Oder besser: Die neuen Besitzerin-Verhältnisse.

Aber erst einmal muss die emanzipierte neue Besitzerin des Pfarrhofs lernen, das Heizsystem zu bändigen!

Brav wiederhole ich alle Ausführungen Suriyels, benenne Pufferspeicher, Anzeigen, lasse mich von ihm durch das Menü des Heizkessels lotsen und versuche zu behalten, welches Rohr wohin führt.

Womit wir beim wichtigsten Punkt angekommen sind: Dem Beheizen des Kessels.

Mit Holz.

Dem fühle ich mich einigermaßen gewachsen, bin ich doch mit einem großen Kachelofen aufgewachsen. Auch den musste ich regelmäßig heizen und schüren.

Allerdings mit einer Zeitung und Kiefernästen, die meine Oma immer im Wald sammelte und neben dem Ofen lagerte.

Im Pfarrhof geht es rustikaler zu: Suriyel nimmt ein Holzscheit vom Stapel, sperrt die Seitentür des Heizungsraums auf und scheucht mich ins Freie. Im Nieselregen geht es ein paar Meter quer über die Wiese zur Werkstatt. An deren Ecke stehen zwei Hackstöcke. Auf dem vorderen liegt ein verrostete Spaltbeil.

Mit dem hackt Suriyel gekonnt das Holzscheit klein.

„Willst du es auch mal versuchen?“

Ich habe nicht vor, mich vor ihm lächerlich zu machen. Das probiere ich ohne Zuschauer aus.

„Nein, das mache ich, wenn ich selbst einheize.“ Ich mache mir eine mentale Notiz, beim nächsten Besuch im Baumarkt an ein neues Spaltbeil zu denken. Damit geht es hoffentlich einfacher, als mit diesem verrosteten Ding.

Ich folge Suriyel zurück in den Heizungsraum.

„So geht der Kessel auf!“ Er entriegelt den Brenner – und schließt ihn gleich wieder.

„Jetzt du!“

Ich brauche drei Anläufe, bis ich es heraus habe.

„Jetzt heizen wir an.“ Suriyel wirft das Holz in den Brenner, entzündet mit dem Feuerzeug ein Stück Grillanzünder – von Frank in einer staubigen Keksdose unter dem Pin-up-Girl-Kalender platziert – und lässt ihn ebenfalls in den Brenner fallen.

Nach ein paar Minuten – und mehreren Kontrollblicken – fordert Suriyel mich auf, ein großes Scheit vom Holzstoß zu nehmen und in den Brenner zu werfen.

Was ich auch tue – aber so ungeschickt, dass sich das schwere Scheit im Inneren des Brenners verkeilt und nicht in die Flammen fällt.

„Die Scheite sind genau auf die Maße des Brenners hin geschnitten“, erklärt mir Suriyel, während er in die züngelnden Flammen greift und das verklemmte Scheit wieder herausholt. „Du musst es gerade reinwerfen!“

Ergeben stemme ich das schwere Scheit hoch und hieve es vorsichtig in den Brenner. Funken sprühen, als es in den Flammen auf dem Boden des Brenners aufschlägt.

Suriyel wirft noch zwei weitere Scheite hinterher – ihm macht die Sache erkennbar Spaß – dann verriegelt er die Brennertür.

„Du musst alle drei bis vier Stunden nachheizen. Das machst du so lange, bis die Pufferspeicher bei 85-90 Grad sind.“

„Und wie lange halten die das warme Wasser vor?“

„Das musst du ausprobieren. Wenn du Glück hast, zwei bis drei Tage.“

Na dann.

Ich bin mir sicher, dass ich im Frühjahr nächsten Jahres souverän das Heizsystem bedienen werde. Ganz alleine, autonom und selbstbestimmt.

Bis dahin werde ich mich sicher regelmäßig blöd anstellen, frustriert und verzweifelt sein.

Das ist der Preis für „Frauen an die Macht“…

Einzug

Anfang Juni ist es endlich so weit: Ich ziehe in den historischen Pfarrhof von Dewitz!

Inzwischen sind acht Monate seit meinem ersten Besuch im historischen Pfarrhof von Dewitz vergangen. https://www.water-runs-east.eu/besichtigung/

Nachdem ich in einer Nacht Ende September vom Pfarrhof geträumt und ihn am nächsten Morgen in einer Immobilienanzeige gefunden hatte! https://www.water-runs-east.eu/weiher/

Im März unterschrieb ich den Kaufvertrag für das denkmalgeschützte Ensemble. https://www.water-runs-east.eu/notartermin/

Noch einmal zwei Monate später – Anfang Juni – ziehe ich dort ein.

Einerseits freue ich mich! Sogar sehr! Es ist wunderschön im Pfarrhof von Dewitz und dass ich – nach dreieinhalb Jahren in Untermietzimmern – endlich wieder eine eigene Wohnung haben werde, macht mich sehr glücklich.

Andererseits graut mir davor! Ich werde dort ganz alleine sein! Ich kenne dort niemanden! Und ich habe keine Ahnung, welche Herausforderungen auf mich zukommen werden.

Glücklicherweise habe ich Suriyel!

Nachdem ich am Vortag mit meinem, bis oben hin voll beladenen, Crafter aus Bayern zu ihm nach Berlin gekommen bin und bei ihm übernachtet habe, brechen wir am nächsten Morgen – einem sonnigen Sonntag – auf in die Mecklenburgische Seenplatte.

Genauer gesagt: Erst breche ich in meinem Crafter auf, eine Stunde später folgt mir Suriyel in seinem Toyota.

Dehalb stehe ich – nach zwei Stunden Fahrtzeit – alleine vor dem hohen grünen Tor. Das lässt sich über Funk öffnen und schließen.

Ein Fakt, der Suriyel entzückt – und mich in den Wahnsinn treibt!

Denn das Tor ist zickig: Wenn es nicht mit der angemessenen Sorgfalt und Konzentration bedient wird, streikt es.

Zumindest bei mir.

Bei Suriyel funktioniert es immer…

Diesmal habe ich Glück. Kurz zucken die beiden Flügel des Tors, nachdem ich mit angehaltenem Atem auf den Knopf der Fernbedienung gedrückt habe, dann öffnen sie sich in eleganter Synchronizität und geben die Durchfahrt frei.

Mit zitternden Knien klettere ich in den Crafter, fahre auf den Schotterweg und parke zwischen Haupteingang und Weiher.

Inzwischen hat es zugezogen. Die Äste der Kirschbäume am Weiher – schwer beladen mit unreifen Früchten – biegen sich im Wind.

Ich rutsche vom Fahrersitz und schaue mich um: Pfarrhaus, Ställe, Werkstatt, Weiher, Wiese, Obstbäume – das alles gehört mir!

Es ist unglaublich!

Benommen wandere ich durch hüfthoches Gras über das Gelände. Schwalben schießen durch die zerborstenen Fenster des Stalls. Ein Milan schwebt über dem Dach des Haupthauses, in der alten Ulme an der Grundstücksgrenze erklingt das schrille Rufen eines Falken.

Als ich meinen Rundgang beendet habe und wieder beim Weiher angekommen bin, fährt Suriyel vor.

Während ich benommen von Natur und Stille bin, beschäftigt ihn ein praktisches Thema: Funktioniert die Heizung? Das Haus stand zwei Jahre leer, der Makler wusste von nichts.

Nachts hat es hier auch Anfang Juni noch weniger als zehn Grad.

Deshalb führt Suriyels erster Weg zur Heizung. Die ist in einem hölzernen Anbau hinter dem Haupthaus untergebracht.

Kurz darauf taucht er wieder in der Wohnung auf. Die Gastherme funktioniert, erklärt er mir. Aber die Solartherme heizt nicht!

Ich folge ihm nach draußen und sehe ihn in Richtung Werkstatt laufen. Auf deren Dach befinden sich die Module der Solartherme.

Suriyel muss hoch. Aber die Leiter, die er kurz darauf aus der Werkstatt schleppt, ist zu kurz. Es fehlen etwa zwei Meter.

„Ich brauche deinen Autoschlüssel!“

„Heute ist Sonntag!“, erkläre ich ihm in der Annahme, er wolle eine längere Leiter besorgen.

Unwirsch schüttelt er den Kopf. Ich drücke ihm meinen Schlüsselbund in die Hand und sehe ihm dabei zu, wie er in den Crafter klettert, den Motor startet und meinen Transporter neben der Werkstattwand parkt.

Es dauert keine zwei Minuten, dann steht er auch schon auf dem Dach des Crafters, zieht die Leiter hoch, lehnt sie an die Wand der Werkstatt und klettert auf das Dach.

Dort macht er sich an der Solartherme zu schaffen. Zwei Mal noch klettert er rauf und runter, dann verschwindet er wieder im Heizungsanbau.

Kurz darauf taucht er wieder in der Wohnung aus. „Das Kabel vom Sensor war durchgebissen. Aber jetzt läuft sie wieder.“

Zufrieden führt er mich in den Heizungsraum. Ich stehe vor zwei riesigen Tanks, diversen digitalen Anzeigen, einem großen roten Heizkessel und vielen Rohrleitungen.

Ich finde: es sieht beängstigend aus.

Suriyel findet: es sieht super aus!

„Da!“, ruft er zufrieden. „Die Therme heizt!“

Ich bin erleichtert, auch wenn ich keine Ahnung habe, woran er das erkennt.

Bevor sich Suriyel dem wichtigsten Teil der Heizanlage – der Holzscheitheizung – widmet, trägt er den Inhalt meines Crafters in die Wohnung: ein großes Bauernbett, Matratzen, Lattenroste, Kisten mit Kleidung, Bettwäsche, Geschirr…

All das, was ich den letzten Monaten besorgt hatte, als ich – ohne festen Wohnsitz – bei Freunden in Bayern untergekommen war.

Meine Besitztümer wurden währenddessen von der Spedition eingelagert. Nur zehn Kilometer vom Pfarrhof, in Neubrandenburg. Trotzdem fand die Umzugsfirma keinen zeitnahen Termin, um meine Sachen vorbeizubringen.

Ich muss mich bis in einer Woche gedulden.

Zu meiner Erleichterung stellt sich heraus, dass trotzdem alles da ist, was wir brauchen!

In meinem neuen Zimmer baut Suriyel das hölzerne Bauernbett auf, das mir die bayerischen Freunde geschenkt haben. Großzügigerweise mit Lattenrosten und Matrazen!

Der große dunkelbraune Holztisch, den ich einem Bestatter in Hof in der Oberpfalz abgekauft habe, passt perfekt in die Küche.

Dort befindet sich zu meiner Erleichterung nicht nur die Einbauküche des Vorbesitzers, sondern auch jede Menge Geschirr und Töpfe.

Während ich das Abendessen richte, wird es in der Küche spürbar wärmer.

Suriyel hat das Feuer in der Holzscheitheizung geschürt!

Ich freue mich auf einen ruhigen ersten Abend in meinem neuen Zuhause.

Aber das kann ich vergessen!

Nach dem Abendessen breitet Suriyel einen Stapel Bedienungsanleitungen vor mir auf der Tischplatte aus. Morgen fährt er zurück nach Berlin. Bis dahin muss ich verstanden haben, wie die Heizung funktioniert!

Ich nicke brav zu allen seinen Ausführungen, starre interessiert auf die Skizze, die er für mich zeichnet, aber meine doofen Fragen entlarven mein Unverständnis.

Suryiel seufzst schwer: „Jetzt gehst du ins Bett und morgen üben wir das mit der Heizung so lange, bis du das alleine hinbekommst.“

Entrümpler

Vor drei Wochen habe ich den Kaufvertrag für ein altes Pfarrhaus unterschrieben. Das ist riesig – und voller Gerümpel…

Am 03. März unterschreibe ich den Kaufvertrag für das alte evangelische Pfarrhaus von Dewitz in der Mecklenburgischen Seenplatte. https://www.water-runs-east.eu/notartermin/

Es wird noch einige Wochen dauern, bis ich die Schlüssel für mein neues Zuhause bekommen werde: Mit sechs bis acht Wochen Wartezeit müsse ich rechnen, erklärt mir der Makler, bis alle Unterschriften eingeholt sind und die Vormerkung ins Grundbuch erfolgt ist.

Das Gute daran: Dem Entrümpler, der vom Makler beauftragt wurde, das Pfarrhaus zu räumen, bleibt genug Zeit, seine Arbeit zu tun.

Denn ein Passus des Kaufvertrags besagt, dass das Pfarrhaus „besenrein“ an mich übergeben werden wird.

Diesen Passus habe ich mir ausbedungen. Mein Bruder war nicht begeistert davon! Er war dafür, den ganzen Krempel, der sich über Jahrzehnte in den vielen Zimmern und Nebengebäuden des Pfarrhauses angesammelt hat, selbst zu verwerten. https://www.water-runs-east.eu/besichtigung/

„Da ist doch einiges dabei, was du brauchen kannst!“, hatte er argumentiert.

Besonders das Boot mit Außenbordmotor, das in der Werkstatt an der Decke hängt, hat es meinem Bruder angetan.

Nach ein bisschen hin und her entscheide ich mich dagegen. In dem Traum, durch den ich das Pfarrhaus gefunden habe, waren alle Räume leer. https://www.water-runs-east.eu/weiher/

Das Pfarrhaus braucht einen neuen Start, beschließe ich. Wenn ich die Schlüssel bekomme, sollen alle Räume so leer sein wie in meinem Traum.

Dem Makler gegenüber erwähne ich den Traum selbstverständlich nicht. Was würde er von mir denken?

Stattdessen begründe ich meinen Wunsch nach einer „besenreinen Übergabe“ damit, dass es mich zu viel Zeit kosten würde, die Räumung selbst zu organisieren.

Das kann der Makler nachvollziehen. Nur – wendet er ein – was ist mit der Ausstattung der Werkstatt? Davon könne ich doch sicherlich einiges gebrauchen, wenn ich in dem Haus leben werde?

Da hat er recht.

Das Ende vom Lied ist, dass ich – nachdem ich den Kaufvertrag unterschrieben habe – mit dem Entrümpler den Preis für den Inhalt der Werkstatt verhandeln muss.

Oder zumindest: möchte…

Der Makler hatte mich schon vorgewarnt: Der wäre ein harter Hund, der Entrümpler.

Zwei Telefonate mit dem „harten Hund“ bringen mich nicht weiter als bis zu dem Punkt, dass ich dem Makler recht geben muss.

Glücklicherweise hat mein Bruder beruflich in der Ecke des Pfarrhauses zu tun. Und hat nichts dagegen, einen Abstecher zum Pfarrhaus zu machen, um nach dem Rechten zu sehen.

Vom Aufeinandertreffen meines Bruders mit dem Entrümpler erhalte ich Zeugnis in Form eines verwackelten Videos, dass er bei seinem Besuch heimlich gefilmt hat und durch seine farbige Schilderung, nachdem er wieder wohlbehalten im Auto sitzt.

Offensichtlich ist der Entrümpler nicht der Typus Mensch, dem an einem harmonischen Verhältnis mit seiner Umwelt gelegen ist. Oder an einem Platz im Himmel. Beziehungsweise einer guten Wiedergeburt…

Meinem Bruder ist es immerhin gelungen, mit dem neuen Herrscher des Krempels zu vereinbaren, dass dieser mir zum Abschluss der Räumaktion ein Angebot für den Inhalt der Werkstatt unterbreiten wird.

Nicht pauschal!

Wo kämen wir da hin?

Nein: Gegenstand für Gegenstand.

„Er wird dich komplett über den Tisch ziehen“, spricht mein Bruder düster in die Freisprechanlage seines Oberklasse-Audi. (Der Entrümpler fährt einen Oberklasse-BMW, habe ich zuvor von meinem Bruder erfahren).

„Wenn er zu unverschämt ist, muss er die Sachen eben abholen und ich besorge mir was ich brauche über Ebay.“

Im Stillen denke ich mir: „Na toll! Hätte ich es mal lieber selbst gemacht.“

Aber hinterher ist man immer schlauer…

Kühlschrank

Begleitet vom Klappern eines alten Kühlschranks im Laderaum meines Crafters kurve ich seit Wochen quer durch Deutschland…

Am 6. März beseitige ich – beschienen von einer freundlichen Frühlingssonne – die letzten Spuren meines Auszugs aus der Spirituellen WG am Prenzlauer Berg.

Am Ende ist der Laderaum des Transporters leer – bis auf einen alten Kühlschrank. Mit dem fahre ich seit Ende Januar quer durch die Republik spazieren.

Dabei wollte ich überhaupt keinen Kühlschrank!

Ich verdanke ihn Suriyel: Der hat sich zu Beginn unseres dreiwöchigen Retreats mit der Khandro in den Kopf gesetzt, dass ein Kühlschrank angeschafft werden muss. https://www.water-runs-east.eu/bedingungen/

Die Tormas – die rituellen Opferkuchen für die Zeremonien – mussten gekühlt werden! Und überhaupt wäre der Kühlschrank in der Gruppenküche zu klein.

„Glücklicherweise haben wir ja jetzt deinen Crafter!“, erklärt Suriyel mir am Vortrag des ersten Retreats. „Damit können wir nach Potsdam fahren und einen Kühlschrank besorgen!“

„Wir“ deshalb, weil Suriyel nicht versichert ist. Ich muss also mit.

Dazu, finde ich, gäbe einiges zu sagen. Aber wenn Suriyel sich etwas in den Kopf gesetzt hat, ist Widerstand zwecklos.

Ergeben reiche ich ihm den Autoschlüssel – wenn er schon nach Potsdam will, soll er selbst fahren – und erklimme den Beifahrersitz.

Während wir über holprige Landstraßen in Richtung Potsdam kutschieren, versuche ich herauszufinden, was er genau vor hat.

„Du willst also für gerade mal drei Wochen Retreat einen neuen Kühlschrank kaufen? Und was machst du mit dem, wenn das Retreat zu Ende ist?“

„Dann spende ich den Kühlschrank dem Buddhistischen Zentrum in Friedrichshain. Die brauchen auch einen für die Tormas!“

„Hast du gefragt, ob die den haben wollen?“

Hat er natürlich nicht…

Wie gesagt: wenn Suriyel sich etwas in den Kopf gesetzt hat, ist Widerstand zwecklos. Der Kühlschrank wird gekauft werden, ob ich das für sinnvoll halte, oder nicht.

Während Suriyel im Kreisverkehr die dritte Abfahrt nimmt und in die Bundesstraße in Richtung Potsdam einbiegt, überlege ich, ob sich zumindest Details seines Plans modifzieren lassen.

Suriyel ist super sparsam! Viel sparsamer als ich…

„Warum muss es unbedingt ein neuer Kühlschrank sein? Für die drei Wochen würde es doch auch ein gebrauchter tun? Das wäre viel billiger!“

„Das stimmt. Aber ich hatte keine Zeit, zu suchen.“

Noch fünfundvierzig Minuten bis Potsdam, sagt das Navi.

Ich beschließe, die Herausforderung anzunehmen. Es wird sich doch wohl innerhalb einer dreiviertel Stunde ein gebrauchter Kühlschrank auftreiben lassen?

Hektisch rufe ich die EBay-App auf und tippte „Kühlschrank“ und „Potsdam“ ein. Kühlschränke in allen Größen und Preisklassen ploppen auf.

Nein, Suriyel will keinen von Ikea! Wenn schon gebraucht, dann ein Markengerät! Ich unterdrücke ein genervtes Stöhnen und scrolle tiefer.

Da! Ein Miele-Kühlschrank! Für 50 Euro!

„Miele ist gut!“, wird mir vom Fahrersitz beschieden.

Die Anzeige läuft unter „gewerblich“, deshalb ist sogar eine Telefonnummer angegeben.

Der Anbieter spricht nur gebrochen Deutsch, deshalb dauerte es etwas, bis ich verstehe, dass er dringend zum Zahnarzt muss! Spätestens in zehn Minuten müsse er los!

Ich tippte die Adresse ins Navi.

„Wir sind in zwanzig Minuten da!“, dränge ich. „Wir zahlen in bar und nehmen den Kühlschrank sofort mit, wenn er okay ist!“

Nachdem ich das Gespräch beendet habe, kann ich Suriyel Vollzug melden: „Er wartet auf uns!“.

„Ich habe kein Bargeld dabei!“, kommt es zurück.

„Ich schon.“

Und so kommt es, dass wir zwanzig Minuten später von einem, von Zahnweh gequältem, Afghanen in den Keller eines Potsdamer Plattenbaus geführt werden.

Dort präsentierte er uns einen ältlichen, mit Priel-Blumen dekorierten, Miele-Kühlschrank. Nicht eingesteckt, natürlich. Es gibt auch weit und breit keine Steckdose. Eile tat Not – der arme Mann musste schließlich zum Zahnarzt – deshalb beschließen wir, nicht lange zu fackeln und den Kühlschrank einfach mitzunehmen.

Suriyel und der Afghane tragen den Kühlschrank die Treppen hoch, über den Gehweg zum Crafter und hieven ihn hinein.

Während Suriyel den Kühlschrank im Laderaum sichert, drücke ich dem Verkäufer auf dem Gehweg fünfzig Euro in die Hand, wünsche viel Glück beim Zahnarzt und baldige Genesung!

Die späte Nachmittagssonne lässt die Wasserflächen von Flüssen und Seen leuchten. Ein erster Hauch von Frühling liegt in der Luft.

Es ist ein wunderschöner Tag, stelle ich fest, während wir quer durch das Havelland zurück zum Yoga-Ressort fahren.

Es ist der Tag, an dem ich aus Versehen einen Kühlschrank gekauft habe!

Suriyel sei Dank!

Nach unserer Rückkehr beschäftigt mich der Gedanke, was ich mit dem Kühlschrank anfangen soll, wenn das Retreat zu Ende ist?

Im Buddhistischen Zentrum von Friedrichshain wollen sie ihn nicht haben, vielen Dank der Nachfrage…

Vier Tage nach dem spontanen Kühlschrank-Kauf erhalte ich die Zusage, dass ich das Alte Pfarrhaus von Dewitz kaufen und daraus ein Buddhistisches Seminarhaus machen kann. https://www.water-runs-east.eu/retreathaus/

Damit habe nicht nur ich, sondern auch der alte Miele-Kühlschrank seinen Bestimmungsort gefunden…

Notartermin

Nach Monaten des Wartens ist es endich so weit: An einem sonnigen Märztag breche ich auf, um das alte Pfarrhaus von Dewitz zu kaufen…

Die Nacht vom 02. auf den 03. März verbringe ich auf Suriyels Küchensofa im 9. Stock eines Plattenbaus irgendwo im Osten Berlins. https://www.water-runs-east.eu/suriyel/

Denn ich habe in Berlin kein Zuhause mehr. Genauer gesagt: ich habe überhaupt kein Zuhause mehr…

Mitte Februar bin ich aus der Spirituellen WG am Prenzlauer Berg ausgezogen. https://www.water-runs-east.eu/spirituelle-wg/

Die Umzugsfirma hat mein Hab und Gut eingelagert. Ich bin bei Freunden in Bayern untergekommen.

Vorübergehend.

Deshalb bin ich froh, dass Suriyel mich so großzügig bei sich aufnimmt. Ich darf am Sonntag, dem 02. März im Buddhistischen Zentrum von Berlin-Friedrichshain Lhosar – Tibetisches Neujahr – feiern und verbringe einen wunderbaren Tag mit meiner Sangha.

Und es gibt wahrhaftig etwas zu feiern: Das Jahr des „Holz-Drachen“ ist glücklich überstanden!

Mir hat der hölzerne Drache dramatische zwölf Monate geschenkt: Zu seinem Beginn – Ende Februar 2024 – zog ich nach Berlin in die Spirituelle WG. https://www.water-runs-east.eu/prenzlauer-berg/

Im September 2024 organisierte ich dort die erste Veranstaltung des neu gegründeten „Zentrums für Praktische Spiritualität“. https://www.water-runs-east.eu/rinpoche/

Zwei Wochen später träumte ich von einem alten evangelischen Pfarrhaus mit Weiher. Am nächsten Morgen fand ich die Immobilienanzeige dazu. https://www.water-runs-east.eu/weiher/

Karma, Baby…

Herbst und Winter waren rocky – um es milde auszudrücken. Ich beerdigte sämtliche Lebenspläne, litt an Angstzuständen und einer heftigen Identitätskrise und legte mir ein riesiges Baufahrzeug zu. https://www.water-runs-east.eu/crafter/

Während der ganzen Zeit war offen, ob ich das Pfarrhaus kaufen konnte, oder nicht.

Ende Januar erhielt ich die Zusage, dass ich es kaufen, und daraus ein buddhistisches Seminarhaus machen durfte.

Genauer: Das „Zentrum für Praktische Spiritualität ‚Pema Chölin‘ im Alten Pfarrhaus von Dewitz“.

Und heute, am 03. März – pünktlich zu Beginn des Jahres der „Holz-Schlange“ – mache ich mich auf dem Weg nach Neubrandenburg, um den Kaufvertrag zu unterzeichnen.

Nach dem Frühstück und der Morgenpraxis verabschiede ich mich von Suriyel, ziehe seine Wohnungstür zu und nehme den Aufzug ins Erdgeschoss.

Als ich das erste Mal bei Suriyel übernachtete, fand ich sein Zuhause höchst exotisch. Noch nie zuvor war ich in einer Plattenbausiedlung gewesen! Riesige Wohntürme säumen die Straße, in der Suryiel lebt. Sein Haus hat sechzehn Stockwerke, in denen Tür an Tür 150 Menschen wohnen.

Ich bin in einem Bauerndorf im bayerischen Chiemgau aufgewachsen. Schon das Konzept, zur Miete in einer Wohnung zu wohnen, war mir fremd.

Man hatte sein eigenes Haus und Punkt!

Später lebte ich dann selbst jahrelang in Mietwohnungen. Es fühlte sich nie richtig an.

Deshalb war es wohl unvermeidlich, dass sich irgendwann die „natürliche Ordnung“ in Form einer Eigentumswohnung einstellte.

Begleitet vom, aus der Kindheit vertrauten, Gefühl der Sicherheit. Und vom ebenso vertrauten Gefühl, unbeweglich zu sein.

Fixiert.

Abgeschnitten vom Fluss des Lebens.

Vor fünf Jahren der Ausbruch. Und der Schwur, von nun an im Flow zu leben. Niemals wieder Erstarrung zuzulassen.

Selbst um den Preis eines Lebens in den Wohnungen fremder Menschen. Erst zur Untermiete in Leipzig, dann in der Spirituellen WG in Berlin.

So unbequem und mühsam die Sache war – ich lebte im Bewusstsein, alle Begrenzungen hinter mir gelassen zu haben.

Der erste Besuch bei Suriyel im Februar 2024 führt mir vor Augen, wie limitiert diese Einschätzung war! Ich hatte zwar das bürgerliche Wohneigentum, nicht aber den gutbürgerlichen Lebensstil aufgegeben.

In Leipzig lebte ich zur Untermiete in einer Altbauwohnung im edlen Gründerzeitviertel. In Berlin bewohnte ich das oberste Stockwerk eines Architekten-Townhouses im angesagten Prenzlauer Berg.

Als ich das erste Mal in Suriyels Ein-Zimmer-Wohnung stand, musst ich mir eingestehen, dass ich – WG hin oder her – immer noch ein fürchterlicher Snob war!

Eine Plattenbausiedlung lag schlicht jenseits meines Vorstellungsvermögens.

Inzwischen fühle ich mich fast schon Zuhause, stelle ich fest, als ich im Fahrstuhl in die Tiefe gleite. So furchtbar, wie ich mir das vorgestellt hatte, ist das Leben im Plattenbau defintiv nicht.

Gleich gegenüber – auf dem zentralen Parkplatz des Plattenbauviertels – steht mein Crafter. Ich turne auf den Fahrersitz und tippe die Adresse der Notarin in das Navi ein.

Zwei Stunden Fahrtzeit bis Neubrandenburg.

Der Crafter zuckelt durch Lichtenberg. Stop and go durch Friedrichshain, Prenzlauer Berg, Moabit.

Zwanzig Minuten Autobahn, dann Bundesstraße. Kilometerlange Alleen, die alten Bäume links und rechts der Straße sind noch winterkahl.

Auf den Feldern sprießt das erste Grün. Darauf immer wieder Vogelschwärme auf der Suche nach Futter: Silberne Reiher, weiße Reiher, Störche, Gänse.

In den Dörfern links und rechts der Bundesstraße rote Backsteinhäuser.

Schön ist es hier. Und fremd.

Zur Mittagszeit erreiche ich Neubrandenburg. In der Innenstadt drei Parkhäuser, ansonsten nur Kurzparkzonen. In einer ruhigen Seitenstraße endlich ein Parkplatz, groß genug für den Crafter.

Zwei Stunden bis zum Notartermin. Ich wandere durch die gesichtslose Fußgängerzone.

Der Himmel hat zugezogen. Eisige Windböen jagen durch die breiten Straßen.

Auf einem leeren Platz eine riesige rote Backsteinkirche. Hier gibt es keine Gottesdienste, entnehme ich der Infotafel, dafür Konzerte, Cabarett-Abende und Musical-Aufführungen.

Die Kirche ist im gleichen Baustil wie mein Pfarrhaus erbaut. Sie ist allerdings ein paar Jahre jünger: Einweihung 1841.

Mein Pfarrhaus ist Jahrgang 1800. Elf Jahre nach der Französischen Revolution erbaut.

Fröstelnd überquere ich den großen menschenleeren Platz, wandere durch ein historisches Stadttor, kreuze den Innenstadtring und betrete das Büro der Notarin.

Der Makler erhebt sich bei meinem Anblick vom Stuhl im Wartezimmer und schüttelt mir die Hand. Er wird im Auftrag der Besitzer den Kaufvertrag unterschreiben.

Ich gebe meinen Ausweiß am Empfang ab.

Der Makler und ich werden in einen Konferenzraum geführt. Die Notarin ist Ende dreißig, groß, blond und schön. Nach einer kurzen Begrüßung rattert sie mit leiernder Stimme fünfzehn Seiten Kaufvertrag hinunter.

Der Makler unterschreibt zuerst, dann reicht er den Kugelschreiber über den Tisch.

Ich denke und fühle nichts, als ich meinen Namen auf die letzte Seite des Dokuments setze.

Auf dem Gehweg überreicht mir der Makler eine Plastiktasche. Darin: Ein leerer Ordner für meine Haus-Unterlagen und drei Gläser Honig vom örtlichen Imker.

Er drückt mir zum Abschied die Hand. „Da haben sie einen guten Kauf getan!“, erklärt er mir, bevor er in Richtung Innenstadt verschwindet.

So wird es wohl sein.

Kastanienallee

Ich darf mit Maktiel einen letzten schönen Tag am Prenzlauer Berg verbringen und bekomme eine wilde Zeit-Geschichte erzählt…

Den Tag, an dem ich mich von meinem Leben als Berlinerin verabschiede, verbringe ich mit Maktiel.

Mit ihrer gelben Strickmütze über den kurzgeschorenen Haaren steht sie am frühen Nachmittag an der Prenzlauer Allee vor einem koreanischen Ladenlokal.

Nachdem wir uns begrüßt haben, muss ich erst einmal mein Fahrrad absperren. Ich ziehe mein zwei Kilo schweres 150€-Schloss aus dem Rucksack. Mit dem Profi-Blick der Alt-Berlinerin hat Maktiel ein stabiles Verkehrschild am Straßenrand ausgemacht: „Das da drüben sieht gut aus!“

Inzwischen bin ich geübt. Ich schaffe es innerhalb weniger Sekunden, das unhandliche Schloss um Pfosten und Fahrradrahmen zu schieben und abzusperren. Das ist in etwa die selbe Geschwindigkeit, in der in Berlin Fahrräder geklaut werden.

Seit ich in die Stadt gezogen bin, lasse ich mein Fahrrad niemals unbeaufsichtigt, wenn ich es nicht mit meinem Monster-Schloss an einem stabilen Gegenstand fixiert habe. Nicht mal für zwei Minuten beim Bäcker mache ich eine Ausnahme. Berliner common sense…

Im Koreanischen Ladenlokal ergattern wir einen winzigen Tisch vor der Theke. Selbstbedienung. Die bunt tätowierte Frau hinter der Kasse bittet um eine Bestellung in Englisch. Während draußen Nieselregel auf dem Prenzlauer Berg niedergeht, löffeln Maktiel und ich Bibimbap.

Eine Stunde später wandern wir gemeinsam durch den Kiez. Vorbei an der Gethsemane-Kirche schiebe ich mein Fahrrad, danach über den Weihnachtsmarkt in den Höfen der Kulturbrauerei. Wir kreuzen die Schönhauser Allee. Über unseren Köpfen rauscht auf hohen Metallstelzen die U-Bahn in Richtung Alexanderplatz.

In der Kastanienallee reiht sich ein Szene-Laden an den anderen. Öko-Klamotten, schicker Krims-Krams, cross-over Restaurants in allen Schatierungen – vorzugsweise vegan.

An einem sympathisch stabilen Fahrradständer in der Oderberger Straße schließe ich mein Rad ab. Maktiel lotst mich in ein schlecht geheiztes Café, in dem Christbaumkugeln von der Decke baumeln. Auf einem durchgesessenen Sofa essen wir Buttermilchwaffeln mit Zimt-Zucker und unterhalten uns über das, was uns beiden am wichtigsten ist: Meditation, Praxis, Retreats…

Am Nebentisch sitzt eine schöne Frau „of color“ mit dicken Dreatlocks. Sie stillt ihren Sohn, während sie sich in breitem Amerikanisch bei einer asiatisch aussehenden Frau über die hohen Lebenshaltungskosten in New York beklagt. Später kommt der Vater dazu – ebenfalls mit prächtigen Dreatlocks unter der Strickmütze – und wird von seinem Sohn begeistert begrüßt.

Inzwischen ist es dunkel geworden. Maktiel und ich brechen auf in Richtung Szene-Kino. Wir wollen „No other Land“ anschauen. Der Film über ein palästinensisches Dorf im Westjordanland hat die Auszeichnung „bester Dokumentarfilm“ der Berlinale gewonnen.

Unterwegs erzählt mir Maktiel, wie sie vor einigen Jahren erst knapp einen Selbstmordanschlag in Jerusalem überlebte, danach im Schockzustand in einen Bus flüchtete und sich in Bethlehem wiederfand. Später kletterte sie, von jüdischen Siedlern mit Müll beworfen, über Hebrons Hausdächer und passierte Straßensperren des israelischen Militärs.

Der Vorraum des Kinos ist vage beleuchtet. Der schmale Mann hinter dem Tresen schüttelt bedauernd den Kopf, als wir nach zwei Tickets für „No other Land“ verlangen.

„Der ist schon ausverkauft.“

Ich glaube erst, mich verhört zu haben. Mittwochabends um 18:15 Uhr? Wie kann das sein?

„Wir haben nur zweiundreißig Plätze. Die sind schnell weg.“ Der Mann hinter dem Tresen zuckt bedauernd die Schultern. „Er läuft noch bis Ende Dezember.“

Schlagartig bin ich das erste Mal mit „nach Berlin“ konfrontiert. Ich weiß nicht, ob ich im Dezember in der Stadt sein werde. Meine „In Between Phase“ hat hier und jetzt begonnen…

Eine Stunde später bin ich wieder in meinem WG-Zimmer. Zuvor habe ich die Kündigung für meinen Mietvertrag im Späti um die Ecke aufgegeben. Per Einwurf-Einschreiben, damit alles seine Richtigkeit hat. Morgen wird sie im Briefkasten vor der Haustür liegen.

Meine Zeit in Berlin geht hier und jetzt zu Ende.

Was schade ist. Es gefällt mir hier.

Oder besser: es hat mir hier gefallen…

Ahnen

Der Kauf des alten Pfarrhauses ist ein langwieriger Prozess. Die Zeit des Abwartens bringt mich mit überkommenen Glaubenssätzen in Berührung…

Foto von MoFei

Nach aufregenden Wochen, in denen sich die Ereignisse geradezu überschlugen, kehrt Anfang November Ruhe ein. Einiges muss geklärt werden, bevor ich das Pfarrhaus kaufen kann. https://www.water-runs-east.eu/besichtigung/

Es bleibt mir nichts, als abzuwarten und mich in Geduld zu üben.

Ich versuche, die Situation als Geschenk zu nehmen: jetzt kann ich endlich in der Tiefe darüber nachdenken, was eigentlich seit dem 24. September – der Nacht, in der ich von dem Pfarrhaus geträumt habe – mit mir und meinem Leben geschehen ist. https://www.water-runs-east.eu/weiher/

Das habe ich auch bitter nötig. https://www.water-runs-east.eu/schock/

„Jedesmal wenn wir uns sehen, erzählst du mir mindestens zwei Mal die Story vom Pfarrhaus“, konstatiert Israfel freundlich. „Man merkt, dass du die ganze Zeit versuchst, dir einen Reim daraus zu machen.“ https://www.water-runs-east.eu/israfel/

Wie gut, dass ich kluge – und geduldige – Freunde habe!

Allen ist nachvollziehbar, dass mich der Gedanke, die Verantwortung für ein sanierungsbedürftiges denkmalgeschütztes Ensemble zu tragen, einschüchtert.

Dass ich plane, alleine in dem riesigen alten Pfarrhaus zu leben, finden alle „mutig“.

Meine Trauer darüber, dass meine unbeschwerte Zeit in Berlin ein schlagartiges Ende gefunden hat, wird von allen nachempfunden.

Trotzdem habe ich das Gefühl, dass niemand versteht, was gerade mit mir los ist – inklusive ich selbst!

Blind tastend bewege ich mich durch meine Gedanken- und Gefühlswelt. Mir ist, als wäre ich unversehens auf einem unbekannten Planeten gelandet!

Dass ich mir selbst ein komplettes Rätsel bin, kränkt mich.

Wo ich doch immer so wunderbar selbstreflektiert bin! Meditiere, psychologisiere – immer auf der Jagd nach den Schatten meiner Persönlichkeit! https://www.water-runs-east.eu/eins-mein-teufel/

Und gerade als ich dachte, ich hätte einen Lebensstil und ein Lebensumfeld gefunden, das perfekt zu mir passt – Päng!!!!

Irgendwas ist ganz offensichtlich schief gelaufen…

Ich komme zu dem Schluss, dass es auf folgendes Problem hinausläuft: entweder ich habe mich in meinem alten Lebenskonzept getäuscht – oder ich täusche mich jetzt in meinem neuen!

Moment mal: Kann es sein, dass ich mich gerade von einer falschen Dichotomie narren lasse?

Dass ich unter der irrigen Vorstellung leide, mein alter und mein neuer Lebensentwurf würden sich gegenseitig ausschließen?

Dass ich irgendwo in der Tiefe die Überzeugung mit mir herumtrage, dass ich mich von meinem alten Ich verabschieden muss, damit ich meiner zukünftigen Lebensaufgabe gewachsen sein werde?

Das ist doch wohl Unfug?!

Was spricht dagegen, auch in Zukunft sonntägliche Praxistage im chaotischen tibetisch-buddhistischen Zentrum von Friedrichshain zu verbringen? Hinterher den Australiern des „Salami-Social-Club“ in der Frankfurter Allee dabei zuzusehen, wie sie zu Punkrock Pizza backen?

Und mit einem Pizzakarton auf dem Beifahrersitz zum Pfarrhaus in die Mecklenburgische Provinz zurückzukehren?

Gut: Fahrtstrecke 100 Kilometer. Nicht um die Ecke, aber bewältigbar.

Es geht weniger um den Aufwand, stelle ich fest, sondern um ein bestimmtes Konzept:

Irgendwie scheine ich die Wirklichkeit unter der Prämisse zu betrachten, dass es nicht möglich ist, Verantwortung zu tragen – und gleichzeitig entspannt Spaß zu haben!

Wo ich die Idee wohl herhabe?

Ich vermute, es handelt sich um eine traditierte transgenerationale familiäre Weisheit.

Oder wohl besser: um eine Angstbewältigungsstrategie…

Meine aktuelle Arbeitshypothese ist, dass der Glaubensatz, der mir – sicher in bester Absicht – mitgegeben wurde, in etwa lautet: „Wenn du Besitz hast, musst du Tag und Nacht arbeiten und darfst dich niemals entspannen und Spaß haben, sonst wirst du zur Strafe alles verlieren!“

Kein Wunder, dass ich so verzweifelt von der Aussicht bin, das Pfarrhaus zu kaufen!

Dabei ist in meiner Familie meines Wissens nach noch nie jemand verarmt!

„Genau deshalb!“, rufen mir meine Ahnen zu. „Weil wir uns nie entspannt haben! Weil wir immer auf der Hut waren!

Es ist wohl an der Zeit, ein neues Kapitel der Familiengeschichte zu beginnen…

Totensonntag

Das sonntägliche Rauchopfer im tibetisch-buddhistischen Zentrum von Friedrichshain bekommt spontan eine protestantische Note…

Um dreizehn Uhr sind wir mit der „Grünen Tara“ – dem ersten Teil unserer wöchentlichen Sonntagspraxis – durch. https://www.water-runs-east.eu/gruene-tara/

Wie immer haben wir knapp zwei Stunden dafür gebraucht. Denn wir praktizieren die Grüne Tara in der langen tibetischen „Tempel-Version“ und nicht in der – im Westen üblichen – verkürzten Weise.

Trotz der Länge und Komplexität unserer Praxis – und der Tatsache, dass es im ungeheizten Tempel des tibetisch-buddhistischen Zentrums von Friedrichshain im Winter ungemütlich kalt ist – haben sich heute wieder dreizehn Leute eingefunden, um gemeinsam zu rezitieren, zu singen und zu meditieren.

Nachdem wir fertig sind, versichern wir uns gegenseitig, was wir doch wieder einmal für eine schöne gemeinsame Praxis hatten! Danach flüchten die anderen in die gemütliche Teestube des Zentrums, in der die Heizkörper glühen.

Israfel und ich machen einen Abstecher in die Küche, die sich in einem Nebengebäude befindet. Wir wärmen die Gemüsesuppe mit den bayerischen Semmelknödeln auf, die wir beide gestern fabriziert haben. https://www.water-runs-east.eu/hausmannskost/

Als in der Teestube alle vor ihren dampfenden Tellern sitzen, breitet sich Schweigen über dem Tisch aus. Wir falten die Hände, Suriyel spricht das kurze tibetische Tischgebet.

Während der Mahlzeit diskutieren wir das anstehende Programm. Suryiel möchte ein „kleines“ Rauchopfer in einer Schale machen, anstelle des üblichen Feuers auf der Terrasse. Zu Schulungszwecken. Er hat – erklärt er uns – eine neue unkomplizierte Methode entdeckt, den Instant-Powder ohne Räucherkohle zu opfern. Die möchte er heute präsentieren. https://www.water-runs-east.eu/do-it-yourself-sang-pulver/

Kurz überlege ich, ob Akzeptanz angemessen ist – oder Widerspruch?

„Widerspruch!“, befiehlt mir meine intuitive Innere Stimme.

„Ach komm, Suriyel!“, rufe ich deshalb aus. „Mach ein Feuer! Bitte!“

„Ich mache doch ein Feuer! Ein ganz kleines!“, kommt es zurück.

„Du weißt genau was ich meine! Ich möchte ein großes! In der Feuerschale!“ Dazu setze ich einen erstklassigen Hunde-Blick auf.

Jetzt ist es an Suriyel zu überlegen, ob Akzeptanz angemessen ist – oder Widerspruch.

Er entscheidet sich für Akzeptanz. „Ja, gut. Wenn du das willst. Machen wir halt ein großes Rauchopfer.“

Alle am Tisch schauen erfreut. Anscheindend hat sich außer mir nur keiner getraut, Suriyel zu widersprechen.

Bevor wir im Tempel alles für das Rauchopfer vorbereiten, spüle ich mit einer Dharma-Schwester das schmutzige Geschirr. „Weißt du, das heute Totensonntag ist?“, fragt sie mich währenddessen.

„Nein, wusste ich nicht. Ich bin katholisch. Bei uns sind das Allerheiligen und Allerseelen. Die waren schon am 1. und 2. November.“

Die Dharma-Schwester versenkt den nächsten Suppenteller im Spülwasser. „Meine Mutter ist evangelisch. Der ist Totensonntag wichtig. Da rufe ich sie immer an.“

Auf dem Weg in den Tempel komme ich an einem Dharma-Bruder vorbei. Der steht im Flur und spricht besänftigtend ins Telefon.

Kurz darauf lässt er sich auf dem Meditationskissen zu meiner Rechten nieder. „Wusstest du, das heute Totensonntag ist?“

„Ja. Aber nur, weil es mir gerade gesagt wurde. Ich bin katholisch.“

Der Dharma-Bruder seufzt. „Ich habe es vergessen! Dabei ist meine Oma vor ein paar Wochen gestorben! Heute wurde im Gottesdienst ihr Namen verlesen, weil Totensonntag ist, und meine Mutter war ganz aufgelöst, weil ich nicht angerufen habe!“ Es ist dem Dharma-Bruder anzusehen, wie unglücklich er über die Situation ist.

Ich überlege, wie wir ihm beistehen können. „Sollen wir das Rauchopfer für deine Oma machen? Wo sie doch gerade gestorben ist?“

„Sie ist schon im August gestorben!“

Ja, gut, das ist deutlich länger als die 49 Tage, die Verstorbene im Bardo – dem Zwischenreich von Leben und Tod – verbringen. So wird es im tibetischen Buddhismus gelehrt. Außerdem praktiziert man für Verstorbene nicht Riwo SangChöd – das Rauchopfer, das wir gleich machen werden – sondern Sur. https://www.water-runs-east.eu/sur/

Egal! „Wir sind flexibel!“, erkläre ich dem Dharma-Bruder. „Wir können trotzdem Rauchopfer für deine Oma machen.“ Maktiel, die an der großen Trommel Platz genommen hat, lacht belustigt auf.

„Es ist eher… Meine Mutter…“

Der Dharma-Bruder macht sich erkennbar weniger Sorgen um die Wiedergeburt seiner Oma, als um das Wohlbefinden seiner Mutter. Es ist doch gut, dass wir kein Sur, sondern ein Riwo Sangchö machen werden, denke ich. https://www.water-runs-east.eu/rauch/

„Wie heißen denn deine Oma und deine Mutter?“

„Hildegard und Hannelore.“

Während wir über Oma und Mutter diskutieren, wurden die Vorbereitungen für das Rauchopfer abgeschlossen. Die Feuerschale, in der das Holz kunstvoll zu einem Turm aufgeschichtet ist, steht auf der Terrasse des Tempels. Davor sind auf einem Tischchen die Opfergaben aufgereiht.

Suriel zündet den Holzstoss an. Begleitet von lautem Knistern zucken die ersten Feuerzungen in die Höhe.

Dann kommt er zu uns und nimmt auf dem Meditationskissen zu meiner Linken Platz.

„Wir machen heute Sang für Hildegard und Hannelore! Das sind die verstorbene Oma und die Mama von …“, erkläre ich ihm. „Weil heute Totensonntag ist!“

Suriyel versteht erkennbar kein Wort. „Wir machen immer Sang für alle!“

„Für alle – und heute ganz besonders für Hildegard und Hannelore! Du musst es auch sagen, damit es wirkt!“

Suriyel weiß immer noch nicht, was gerade los ist, nickt aber ergeben. „Gut, dann machen wir heute Sang für alle und ganz besonders für Hildegard und Hannelore!“ Er kämpft hörbar mit den ungewohnten deutschen Namen.

„Weil Totensonntag ist.“

Das ignoriert er. Als Pole, denke ich, weiß er vermutlich nicht einmal was ‚Totensonntag‘ ist. „Das ist wie ‚Allerheiligen‘ und ‚Allerseelen‘ für Protestanten!“, schiebe ich schnell hinterher.

Auch das sagt ihm erkennbar nichts. Leider weiß ich nicht, wie die Feiertage auf Polnisch heißen.

Suriyel ist es egal. Er schlägt den Gong und stimmt das erste Sutra an. Während die Flammen in der Feuerschale höher und höher steigen und die Hitze die feuchten Terrassenbohlen dampfen lässt, nehmen wir Zuflucht, entwickeln Bodhichitta und laden die Gäste ein.

Die Buddhas, Bodhisattvas, Schützer, Dakinis, alle Naturgeister, Tiere, Menschen und alle anderen sichtbaren und unsichtbaren Wesen, mit denen wir in Verbindung stehen.

Und Hildegard und Hannelore…

Als wir bei der Opferung angekommen sind, steht Suriyel auf, geht zur Terrasse und wirft die Opfergaben in die Flammen.

Weißer Rauch steigt aus der Feuerschale auf und windet sich wie eine dicke Schlange in den grauen Herbsthimmel.

Auf Israfels Vorschlag hin singen wir, nachdem wir mit dem Rauchopfer durch sind, noch drei Mal das Dewa Chen Gebet für eine glückliche sofortige Wiedergeburt von Hildegard und Hannelore.

Hinterher sitzen alle auf ihren Kissen und sind geradezu betäubt vom Ritual. Nie zuvor haben wir ein solch perfektes Rauchopfer hinbekommen als das heutige am Totensonntag! Das Feuer, der Rauch, die Musik der Instrumente, unser Gesang – alles war genau so, wie es sein soll.

„Ich bin mir sicher, dass davon etwas bei deiner Oma und deiner Mutter angekommen ist!“, flüstere ich dem Dharma-Bruder zu meiner Rechten zu.

Der nickt. „Ganz sicher! Ich werde gleich meine Mutter anrufen und ihr sagen, dass wir für sie und Oma gebetet haben. Sie wird sich sehr darüber freuen!“ Damit steht er auf und eilt – sein Handy aus der Jackentasche ziehend – aus dem Tempel.

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