Von Ende Juni bis Anfang August lebe ich alleine im Pema Choling – umgeben von Jungvögeln, die hier ihre ersten Flugversuche starten…

Sieben Wochen lang bin ich ganz alleine im Pema Choling im Historischen Pfarrhof von Dewitz. https://www.water-runs-east.eu/stille-2/

Das ist jetzt – nach der Einweihung durch Norbu Tsering Rinpoche – ein Buddhistisches Zentrum. https://www.water-runs-east.eu/einweihung/

Abgesehen von den bunten Gebetsfahnen, die über dem Eingang und zwischen den Kirschbäumen am Weiher flattern, ist davon nichts zu bemerken.

Denn es muss noch viel getan werden, bevor Leben in das Pema Choling einkehren kann.

Sämtliche Gebäude müssen saniert und umgebaut werden.

Ein Mamutprojekt!

Aber erst einmal passiert: nichts.

Denn es ist Urlaubszeit.

Der Architekt ist verreist, der Sachbearbeiter der Unteren Denkmalschutzbehörde ebenso, die E-Mail an das Liegenschaftsamt wird mit einer Abwesenheitsnotiz beantwortet…

Für mich gibt es trotzdem genug zu tun:

Jeden Morgen praktiziere ich im Pavillon am Weiher Zazen. https://www.water-runs-east.eu/zazen/

Danach ein Riwo SangChö. https://www.water-runs-east.eu/rauch/

Keine Ahnung, was sich die Nachbarn dabei denken, wenn mein Getrommel und Gebimmel über den Weiher schallt, während der Rauch des brennenden Opfers aufsteigt. https://www.water-runs-east.eu/sang-powder/

Neben meinen spirituellen Pflichten muss ich:

Das Spätzle füttern und bürsten. https://www.water-runs-east.eu/kidnapping/

Rasen mähen (auf 4500 Quadratmetern!).

Die unendlich lange Hecke und drei wild wuchernde Weinstöcke schneiden.

Die Homepage aktivieren. (pema-choling.de)

Mit den Staren um meine Kirschen kämpfen (vier Süßkirschenbäume und sieben Sauerkirschenbäume) und Marmelade kochen.

Im Internet nach Fördermöglichkeiten für die Sanierung forschen.

Und so weiter und so fort…

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Während ich meinen Pflichten nachgehe, kommt es mir vor, als würde ich mit jedem Tag mehr zu einem Teil des Pema Choling werden.

Als würde ich mit dem Ort verschmelzen.

Ein seltsames Gefühl.

Und durchaus beängstigend.

Zum Trost schenkt mir das Pema Choling wunderbare Begegnungen mit den Tieren, die hier leben.

Den Anfang machen die Turmfalken.

Die erste stürmische Begegnung mit den Turmfalken hatte ich kurz nach meinem Einzug in das Pema Choling. https://www.water-runs-east.eu/turmfalke/

Es handelt sich um ein Turmfalkenpaar, erfahre ich kurz darauf von Nachbarn. Sie brüten am anderen Ende des Dorfes hinter der Kirche.

Das Pema Choling ist Teil ihres Jagdgebiets. Regelmäßig fliegen die Falken über die Dächer der Gebäude, immer begleitet von wütenden Rufen und Attacken der Schwalben, die im Stall nisten.

Aber das ist noch garnichts gegen die Aufregung, die im Pema Choling einsetzt, als die Jungfalken flügge werden!

Drei sind es.

Die erste Woche ihres neuen Erwachsenenlebens verbringen sie auf der großen Wiese des Pema Choling.

Dort üben sie sich im Fliegen und Jagen.

Vom Badezimmerfenster aus beobachte ich einen jungen Turmfalken, der seine Beute auf dem Gastank verzehrt.

Ich bin begeistert von den unerwarteten Gästen.

Im Gegensatz zu den anderen Vögeln.

Turmfalken, lerne ich, haben es nicht leicht. Sie sind zwar Raubvögel, aber klein. Nicht viel größer als eine Taube.

Deshalb sind sie bei den anderen Vögeln unbeliebt – aber nicht gefürchtet.

Die Krähen, die in den hohen Pappeln hinter dem Zaun des Pema Choling leben, stürzen sich auf die drei Jungfalken, sobald die ihren Bäumen zu nahe kommen.

Nicht einmal die zarten Schwalben lassen sich ihre Nähe bieten. Sobald sich die Jungfalken dem Stall nähern, gehen Schwalben-Geschwader zum Angriff über.

Bei dem mächtigen Milan, der regelmäßig über dem Pema Choling nach Beute Ausschau hält, würden das weder Schwalben noch Krähen wagen.

Wenn der über den Dächern des Pema Choling segelt, herrscht auf einmal vollkommene Stille.

Die Schwalben flüchten in den Stall.

Die Krähen in die dicht belaubten Äste der Pappeln.

Bei den jungen Turmfalken dagegen: keine Gnade!

Besonders eines der drei Geschwister wirkt von der Situation überfordert. Von Morgens bis Abends stößt es fast ununterbrochen schrille Schreie aus.

Egal ob es auf der Wiese sitzt, in einem der Obstbäume oder auf dem Hausdach.

Es schreit und schreit.

Der größte der Jungfalken ist nach drei Tagen verschwunden.

Falken sind Einzelgänger.

Vielleicht ist ihm auch das andauernde Geschrei des Geschwisters zu sehr auf die Nerven gegangen.

Das andere Falkenkind steht dem Schreihals weiter tapfer zur Seite.

Eine Woche lang sehe ich den beiden beim Erwachsenwerden zu.

Dann wird ihr Radius weiter. Anfangs sehe ich sie noch auf den Dächern der Nachbarhäuser – und höre den Schreihals rufen – aber bald darauf sind sie verschwunden.

Ich vermisse sie. Und hoffe, dass sie überleben werden.

An einem sonnigen Tag anfang September radle ich zum Plather See. Der ist acht Kilometer vom Pema Choling entfernt.

Kurz bevor ich den See erreiche, sehe ich einen Bussard, der über dem abgeernteten Feld zu meiner Linken kreist.

Auf einmal stürzt sich ein Turmfalke – hysterisch schreiend – auf den Bussard.

Vor meinen Augen entbrennt ein Luftkampf. Der Bussard ist größer und kräftiger, der Turmfalke schneller und wendiger.

Immer wieder stößt der kleine auf den viel größeren Raubvogel herab.

Und schreit und schreit dabei.

Der Bussard ergreift die Flucht.

Triumphierend schreiend fliegt der Turmfalke über dem Röricht davon.

Er klingt exakt wie der Schreihals, der vor ein paar Wochen auf der Wiese des Pema Choling lebte.

Er scheint – so denke ich mir – seinen Weg gefunden zu haben.