Ich darf mit Maktiel einen letzten schönen Tag am Prenzlauer Berg verbringen und bekomme eine wilde Zeit-Geschichte erzählt…

Den Tag, an dem ich mich von meinem Leben als Berlinerin verabschiede, verbringe ich mit Maktiel.

Mit ihrer gelben Strickmütze über den kurzgeschorenen Haaren steht sie am frühen Nachmittag an der Prenzlauer Allee vor einem koreanischen Ladenlokal.

Nachdem wir uns begrüßt haben, muss ich erst einmal mein Fahrrad absperren. Ich ziehe mein zwei Kilo schweres 150€-Schloss aus dem Rucksack. Mit dem Profi-Blick der Alt-Berlinerin hat Maktiel ein stabiles Verkehrschild am Straßenrand ausgemacht: „Das da drüben sieht gut aus!“

Inzwischen bin ich geübt. Ich schaffe es innerhalb weniger Sekunden, das unhandliche Schloss um Pfosten und Fahrradrahmen zu schieben und abzusperren. Das ist in etwa die selbe Geschwindigkeit, in der in Berlin Fahrräder geklaut werden.

Seit ich in die Stadt gezogen bin, lasse ich mein Fahrrad niemals unbeaufsichtigt, wenn ich es nicht mit meinem Monster-Schloss an einem stabilen Gegenstand fixiert habe. Nicht mal für zwei Minuten beim Bäcker mache ich eine Ausnahme. Berliner common sense…

Im Koreanischen Ladenlokal ergattern wir einen winzigen Tisch vor der Theke. Selbstbedienung. Die bunt tätowierte Frau hinter der Kasse bittet um eine Bestellung in Englisch. Während draußen Nieselregel auf dem Prenzlauer Berg niedergeht, löffeln Maktiel und ich Bibimbap.

Eine Stunde später wandern wir gemeinsam durch den Kiez. Vorbei an der Gethsemane-Kirche schiebe ich mein Fahrrad, danach über den Weihnachtsmarkt in den Höfen der Kulturbrauerei. Wir kreuzen die Schönhauser Allee. Über unseren Köpfen rauscht auf hohen Metallstelzen die U-Bahn in Richtung Alexanderplatz.

In der Kastanienallee reiht sich ein Szene-Laden an den anderen. Öko-Klamotten, schicker Krims-Krams, cross-over Restaurants in allen Schatierungen – vorzugsweise vegan.

An einem sympathisch stabilen Fahrradständer in der Oderberger Straße schließe ich mein Rad ab. Maktiel lotst mich in ein schlecht geheiztes Café, in dem Christbaumkugeln von der Decke baumeln. Auf einem durchgesessenen Sofa essen wir Buttermilchwaffeln mit Zimt-Zucker und unterhalten uns über das, was uns beiden am wichtigsten ist: Meditation, Praxis, Retreats…

Am Nebentisch sitzt eine schöne Frau „of color“ mit dicken Dreatlocks. Sie stillt ihren Sohn, während sie sich in breitem Amerikanisch bei einer asiatisch aussehenden Frau über die hohen Lebenshaltungskosten in New York beklagt. Später kommt der Vater dazu – ebenfalls mit prächtigen Dreatlocks unter der Strickmütze – und wird von seinem Sohn begeistert begrüßt.

Inzwischen ist es dunkel geworden. Maktiel und ich brechen auf in Richtung Szene-Kino. Wir wollen „No other Land“ anschauen. Der Film über ein palästinensisches Dorf im Westjordanland hat die Auszeichnung „bester Dokumentarfilm“ der Berlinale gewonnen.

Unterwegs erzählt mir Maktiel, wie sie vor einigen Jahren erst knapp einen Selbstmordanschlag in Jerusalem überlebte, danach im Schockzustand in einen Bus flüchtete und sich in Bethlehem wiederfand. Später kletterte sie, von jüdischen Siedlern mit Müll beworfen, über Hebrons Hausdächer und passierte Straßensperren des israelischen Militärs.

Der Vorraum des Kinos ist vage beleuchtet. Der schmale Mann hinter dem Tresen schüttelt bedauernd den Kopf, als wir nach zwei Tickets für „No other Land“ verlangen.

„Der ist schon ausverkauft.“

Ich glaube erst, mich verhört zu haben. Mittwochabends um 18:15 Uhr? Wie kann das sein?

„Wir haben nur zweiundreißig Plätze. Die sind schnell weg.“ Der Mann hinter dem Tresen zuckt bedauernd die Schultern. „Er läuft noch bis Ende Dezember.“

Schlagartig bin ich das erste Mal mit „nach Berlin“ konfrontiert. Ich weiß nicht, ob ich im Dezember in der Stadt sein werde. Meine „In Between Phase“ hat hier und jetzt begonnen…

Eine Stunde später bin ich wieder in meinem WG-Zimmer. Zuvor habe ich die Kündigung für meinen Mietvertrag im Späti um die Ecke aufgegeben. Per Einwurf-Einschreiben, damit alles seine Richtigkeit hat. Morgen wird sie im Briefkasten vor der Haustür liegen.

Meine Zeit in Berlin geht hier und jetzt zu Ende.

Was schade ist. Es gefällt mir hier.

Oder besser: es hat mir hier gefallen…